Sonntag, 14. Oktober 2018

Das Amt des "Papa emeritus" bleibt umstritten



Ganz in weiß - auch nach dem Rücktritt?
Ende September veröffentlichte die "Bild"-Zeitung einen Brief von Benedikt XVI. an Kardinal Walter Brandmüller. Im Zentrum: der "Papa emeritus" - eine Konstruktion, die offenbar immer noch die Gemüter bewegt.

Es geht um das Oberhaupt von rund 1,3 Milliarden Katholiken weltweit, um jahrhundertealte Traditionen - und um die Macht der Bilder im Medienzeitalter. Im Zentrum steht die Frage: Wie umgehen mit einem Papst, der zu Lebzeiten zurücktritt? Benedikt XVI. wagte diesen Schritt vor nunmehr fünfeinhalb Jahren - als erster Papst der Neuzeit. Seither trägt er den Titel eines "Papa emeritus" - und weiter Weiß.

Kritikern wie dem Kirchenhistoriker und Kurienkardinal Brandmüller schmeckt die Sache nicht. "Den "Papa emeritus' als Figur gibt es nicht in der ganzen Kirchengeschichte", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Und dass ein Papst jetzt hergeht und eine zweitausendjährige Tradition umstößt, das hat nicht nur die Kardinäle total überfahren."

Der Kritisierte reagierte in einem persönlichen Schreiben, das die "Bild"-Zeitung Ende September veröffentlichte. Rücktritte seien - "wenn auch äußert selten" - in der Kirchengeschichte durchaus vorgekommen. "Was waren sie hernach? Papst emeritus?", so Benedikt XVI. "Wenn Sie einen besseren Weg wissen und daher glauben, den von mir gewählten verurteilen zu können, so sagen Sie es mir bitte."

Freiwilligen Papstrücktritt gab es bereits

Als Beispiel für einen freiwilligen Papstrücktritt gilt Coelestin V., der im Dezember 1294 nach nur sechs Monaten sein Amt aufgab. "Er wollte danach wieder als Mönch und Eremit in sein Kloster in den Abruzzen zurückkehren", so der Wiener Theologe Thomas Prügl.

Coelestins Nachfolger Bonifaz VIII. habe die Situation allerdings als zu gefährlich erachtet. "Radikale Gruppen hätten sich des abgetretenen Papstes bemächtigen und ein Schisma provozieren können." Konsequenz: Der zurückgetretene Papst wurde auf einer Burg südlich von Anagni unter Hausarrest gestellt, wo er 1296 starb.

Gegenpäpste

"Alle anderen römischen Bischöfe wurden aus dem Amt gedrängt, in Kontroversen teils getötet, verstümmelt oder verbannt", sagt der Aachener Historiker Harald Müller, ein Spezialist für die Gegenpäpste, die vor allem im Mittelalter eine Rolle spielten. In einigen Fällen seien die überwundenen Konkurrenten mit hohen Kirchenämtern abgefunden worden.

Müller verweist auf Gegenpapst Felix V., der 1449 päpstlicher Legat und Kardinalbischof wurde. Gregor XII. ließ nach fast zehnjährigem Pontifikat 1415 auf dem Konzil von Konstanz seinen Rücktritt erklären, um eine fast 40 Jahre währende Kirchenspaltung zu beenden.

Er nahm daraufhin wieder seinen Taufnamen Angelo Correr an und wurde zum Ausgleich, ähnlich wie Felix V., zum Kardinalbischof von Porto und päpstlichen Legaten auf Lebenszeit ernannt.

Um den Amtsverzicht beziehungsweise -verlust sinnfällig zu machen, gab es die sogenannte Devestitur, wie Müllers Kollegin Christiane Laudage in ihrem Buch über Gegenpäpste 2012 schildert: Die betreffenden Kirchenmänner legten Amtskleidung und Insignien ab. Aus der Tiefe der Geschichte zeichnet sich zumindest ein mögliches Gegenmodell zum "Papa emeritus" ab: eine Rückkehr in den Kardinalsstand und der Verzicht auf die weiße Kleidung.

Benedikts Entscheidung

Diese Variante hat offenbar auch Benedikt XVI. erwogen. Pius XII. habe für den Fall einer Verhaftung durch die Nationalsozialisten schriftlich hinterlegt, dass er von diesem Augenblick an nicht mehr Papst sei, sondern wieder Kardinal, wie er an Brandmüller schreibt.

Für sich selbst jedoch, so Benedikt XVI., habe er einen solchen Schritt ausgeschlossen, weil er dann der Öffentlichkeit zu sehr ausgesetzt wäre.

Ob es eine solche Anweisung von Pius XII. gab, lässt sich aus den bisher zugänglichen Archivquellen nicht belegen, betont der Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti. Paul VI., von 1963 bis 1978 im Amt, habe "sehr mit sich gerungen, ob er zurücktreten soll, falls seine Kräfte nicht mehr ausreichen". Das belegten persönliche Zeugnisse.

Im Kirchenrecht ist geregelt, dass ein Amtsverzicht frei geschieht und "hinreichend kundgemacht" wird. Ein "Papa emeritus" finde sich dort nirgends, sagt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller.

Fremdkörper in der römisch-katholischen Kirche

Es handle sich dabei um einen "offenkundigen Fremdkörper in der römisch-katholischen Kirche", der nur durch einen amtierenden Papst, das Bischofskollegium oder ein Konzil ins Kirchenrecht eingebaut werden könne. Dann allerdings sollten, fordert Schüller, auch Dinge wie Kleidung oder Anrede festgelegt werden.

Die Konstruktion des "Papa emeritus" bleibt umstritten - obwohl der amtierende Papst Franziskus sie ausdrücklich begrüßt hat. Der Zusatz "emeritus" erinnert manchen Beobachter eher an einen Professor im Ruhestand als an einen gewesenen Papst. Und dass Benedikt XVI. aus der Öffentlichkeit verschwunden wäre, stimmt auch nicht so ganz. Ob Interviewbuch ("Letzte Gespräche") oder Aufsatz für eine Fachzeitschrift: Die Zahl der Wortmeldungen des Alt-Papstes ist überschaubar, aber eben nicht gleich Null.

Antworten, wie künftig mit einem Papstrücktritt umzugehen ist, stehen noch aus. Ebenso wie auf die Frage, wer den vor einem Jahr verfassten Brief von Benedikt XVI. an Brandmüller an die Öffentlichkeit durchgestochen hat.

Quelle: Domradio.de >>

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Pikante Briefe aufgetaucht

Papst Benedikt XVI. in großer Sorge um seine Kirche

Vor fünf Jahren trat Papst Benedikt XVI. (91) zurück.
Der Missbrauchsskandal lässt diesen überraschenden Schritt in neuem Licht erscheinen. Jetzt sind Briefe des emeritierten Papstes aufgetaucht, die schockierend sind und Kirchenhistoriker aufhorchen lassen werden. Die BILD vorliegenden Schreiben zeigen einen um den Zustand der Kirche tief besorgten Benedikt XVI.
Der Briefverkehr stammt aus dem November 2017. Gerichtet sind die Briefe an einen deutschen Kardinal. Dieser hatte sich in einem Interview kritisch über Benedikts Rücktritt geäußert. 
Hauptkritikpunkt: Die Kirche sei durch seinen Rücktritt in eine schwere Krise geschlittert, außerdem sei ein Papst-Rücktritt in der Kirchengeschichte beispiellos und habe der Kirche schweren Schaden zugefügt.

Der zurückgetretene Papst reagierte mit einem Wut-Brief. Dort heißt es, an den ihn kritisierenden Kardinal gerichtet: „Den tief sitzenden Schmerz, den Ihnen mit vielen anderen das Ende meines Pontifikats zugefügt hat, kann ich sehr wohl verstehen. Aber der Schmerz ist bei manchen – wie mir scheint – auch bei Ihnen zum Zorn geworden, der nun nicht mehr bloß den Rücktritt betrifft, sondern sich immer mehr auch auf meine Person und mein Pontifikat im ganzen ausdehnt.
Auf diese Weise wird nun ein Pontifikat selbst entwertet und in die Trauer über die Situation der Kirche von heute eingeschmolzen.“ Er wies den Kardinal scharf zurecht: „Wenn Sie einen besseren Weg wissen (gemeint ist der Rückritt, Anm. d. Red.) und daher glauben, den von mir gewählten verurteilen zu können, so sagen Sie es mir bitte.“

Es gebe sehr wohl Beispiele für Papst-Rücktritte. Er nennt das Beispiel Papst Pius XII. (1876–1958), der im Jahr 1944 Vorkehrungen traf, um durch einen Rücktritt einer „Verhaftung durch die Nazis“ zuvorzukommen. Pikant: Der Vergleich mit einem sich von Nazis bedroht sehenden Papst. Durch wen fühlte Benedikt sich bedroht?
„Betet für mich, dass ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe”, hatte Benedikt XVI. bereits bei Amtsantritt gesagt. Wer sind die Wölfe? Der Philosophie-Professor und Vatikan-Kenner Armin Schwibach (53) zu BILD:

„Mit den Wölfen meint er wohl das Netzwerk hochrangiger Kirchenfürsten, die im Vatikan ein System von Macht und Machtmissbrauch geschaffen hatten, dem er sich nicht gewachsen sah.“
Fürchtete Benedikt sogar von Handlangern dieses Netzwerks vergiftet zu werden? Im Oktober 2012 soll der Präsident des Bayerischen Landeskriminalamtes, wie der „Spiegel“ im Mai 2015 berichtete, nach Rom gereist sein, um für den Papst Lücken bei der Speisenzubereitung zu untersuchen. Noch pikanter: Als der vom Papst kritisierte Kardinal angesichts der nach dem Rücktritt verunsicherten Kirche zurückschrieb: „Möge der Herr seiner Kirche zu Hilfe kommen“ antwortete Benedikt nochmals – mit einem bemerkenswerten Satz.
Benedikt schrieb: „Beten wir lieber darum, wie Sie es am Ende Ihres Briefes getan haben, dass der Herr seiner Kirche zu Hilfe kommt.“ War der zurückgetretene Papst also der Meinung, dass die Kirche unter seinem Nachfolger in eine Krise geraten sei, in der nur noch beten hilft? 
Ausriss aus dem Schreiben an den Kardinal vom November 2017, signiert mit Benedikt XVI.
Ausriss aus dem Schreiben an den Kardinal vom November 2017, signiert mit Benedikt XVI.

Benedikts Nachfolger, Papst Franziskus, ist derzeit mit Vorwürfen konfrontiert, er habe einen mächtigen US-Kardinal gefördert, obwohl er wusste, dass Benedikt diesen wegen sexueller Vergehen bestraft hatte.
Der Chefredakteur der katholischen Nachrichtenagentur (KNA) Ludwig Ring Eifel (58) zu BILD: „Die Briefe geben faszinierende Einblicke ins Denken von Benedikt XVI. – er ist ganz offenbar sehr besorgt über den Zustand der Kirche.“ Benedikts Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein (62) wollte zu den Briefen gegenüber BILD keinen Kommentar abgeben.
Kürzlich wählte er für die Lage der Kirche, die von Missbrauchsskandalen und systematischer Vertuschungen erschüttert wird, einen Vergleich mit den Terroranschlägen vom 11. September in New York: Die Kirche erlebe „gerade ihr eigenes 9/11“.
Quelle: Bild >>



AKTUAKISIERUNG:

Internetportal spekuliert über baldige Apostolische Konstitution
Bericht: Franziskus könnte "Papa emeritus" abschaffen
Seit seinem Rücktritt vom Papstamt wird Benedikt XVI. inoffiziell als "Papa emeritus" bezeichnet. Jetzt gibt es in Italien Gerüchte, dass sein Nachfolger Franziskus diese Bezeichnung mit einer Apostolischen Konstitution abschaffen will.
Katholisch.de, 24.8.2021 >>

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