Ein Mann hatte ein großes und schönes Haus, in dem er gerne Gäste beherbergte. Er hielt die Türen immer offen und hatte für jeden, der vorbeikam ein gutes und fröhliches Wort.
Und weil das Haus so groß und der Herr des Hauses so beschäftigt war, bestellt er einen Hausverwalter und ein älteres Ehepaar, das ihn bei Reparaturarbeiten und beim Reinigen unterstützte. Sie alle kamen gut miteinander aus und arbeiteten fleißig für das Haus und seine Gäste.
Eines Tages rief der Herr die drei zusammen und sagte: „Ich muss jetzt für längere Zeit in ein fernes Land. Ich will dort meinen Sohn besuchen. Für diese Zeit vertraue ich Euch dreien mein Haus an. Achtet gut darauf und seht zu, dass sich meine Gäste und Freunde auch weiterhin wohl fühlen. Es wird euer Schaden nicht sein“. Dann packte er seine Koffer und ging.
Es dauerte nicht lange – und der Verwalter wurde irgendwie seltsam. Er sei jetzt der Herr, sagte er zu den beiden MitarbeiterInnen. Sie hätten jetzt zu tun was er befehle. Und damit sie sich das merkten verfertigte er allsogleich eine lange Liste mit Geboten und Verboten.
Ganz oben stand, dass ihm und nur ihm alles zu melden sei. Und dass es streng verboten sei, ohne sein Wissen mit dem Herrn zu telephonieren. Auch sei ab sofort die Eingangstür zu verschließen und das viele Reden mit Vorbeikommenden habe aufzuhören.
Und es dauerte wiederum nicht lange, da wurde es im Haus und um das Haus still. Aufgrund der vielen Gebote und Verbote wurde das Haus zwar erhalten und gerichtet, es war aber kein Leben mehr in ihm. Die Fassade wurde zwar gelegentlich geweißelt, aber das Haus wurde grauer und grauer.
Der Verwalter hielt die beiden alten Leute auch zu äußerster Sparsamkeit an. Der Gehsteig wurde kaum mehr gereinigt, die Gemeindeabgaben nur noch nach vielen Mahnungen bezahlt, der Schnee auf dem Dach nur ganz selten entfernt. Weil alles Kosten seien, zürnte der Hausverwalter.
Eines Tages – mitten im Winter – sagte der Alte zum Verwalter. „Sie sollten ganz dringend den Schnee und vor allem die langen Eiszapfen am Dach wegräumen lassen. Sonst kommt noch jemand zu Schaden. Und auch das Dach hält das nicht ewig aus“.
Da wurde der Hausverwalter zornig und schrie: „Hinaus mit euch, ich will euch hier nie wieder sehen. Ihr seid schon immer gegen mich als Chef gewesen. Seht, wo ihr hinkommt!“
Die beiden Alten packten ihre Koffer. Die Frau aber sagte: „Wir haben so viele Jahre lang unserem Herrn und seinem Haus treu gedient und selbst hier eine Heimat gefunden. Wir sollten schon den Herrn anrufen und ihm selber sagen, was hier los ist“.
Sie verständigten direkt den Herrn. Dieser fiel aus allen Wolken, als er den Bericht hörte. „Hättet ihr mir das früher gesagt, aber ich hätt es mir ja denken können. Er will an meiner Stelle der Herr sein“. Und er gebot den Alten, die Koffer sofort wieder auszupacken und auf ihn zu warten.
Da sagte der Alte: „Herr, bis du wiederkommst, da kann es schon zu spät sein. Da können die Eiszapfen schon Menschen erschlagen haben und das Dach eingestürzt sein“. Da sagte der Herr aus der Ferne: „Tut sofort das, was notwendig ist. Wartet nicht! Es dürfen weder Menschen noch das Haus zu Schaden kommen. Ruft sofort an und holt Hilfe. Sofort. Und den Verwalter werde ich mir gleich vorknöpfen“.
„Aber wir dürfen schon seit deiner Abfahrt mit keinem mehr reden, der Hausverwalter hat uns besonders da absoluten Gehorsam abgefordert. Haben es sogar unterschreiben müssen“.
„Dann ruft in meinem Namen sofort den Bürgermeister an. Sagt ihm, er soll eine Ersatzvornahme machen. Die Kosten werde ich dann vom Verwalter einfordern. Cent um Cent. Der wird was erleben“.
„Wie heißt das Wort? Ersatz….? Was ist das?“
„Ersatzvornahme“. Die muss man machen, wenn die Zuständigen entweder zu langsam oder zu träge oder wenig verständig sind und es so zu großen Schäden kommt. Dann braucht es eine Ersatzvornahme. Ihr macht das sofort, euer Gehorsam gilt nur mir, nicht mehr diesem Verwalter“. Dann legte der Herr auf. Die beiden Alten taten wie ihnen geheißen.
Und als die Arbeiter den Schnee vom Dach schaufelten und die gefährlichen Eiszapfen wegschlugen, da hörte man etwas aus dem Büro des Verwalters. Es klang wie Weinen.
Lothar Müller
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