Herrn Kardinal
Erzbischof Dr. Christoph Schönborn
Sehr geehrter Herr Erzbischof,
vor einem Vierteljahr habe ich Selbstanzeige erstattet und
mit Berufung auf den Codex Iuris Canonici ausdrücklich ersucht, mich mit
„Exkommunikation“ zu bestrafen. Ich führte als Begründung an, dass ich die
Tatbestände der „Häresie“ und des „Schismas“ erfü̈lle, da ich Zweifel an der
Lehre der Kirche bekunde und mich dem Papstregime unterzuordnen weigere. Darauf
erfolgte keinerlei Reaktion.
Ich ordne dies nicht der bei Deinen Kollegen gängigen
Unhöflichkeit zu, Schreiben von Kirchenmitgliedern nicht zu beantworten. Es ist
vielmehr das eingetreten, was ich erwartete. Ein kirchliches „Strafverfahren“
wäre mir sehr willkommen gewesen. Ich hätte es als Betroffener mit dem Ziel
durchexerzieren können, der katholischen Öffentlichkeit dessen Absurdität sowie
seine Sinn- und Wirkungslosigkeit zu demonstrieren. Daher verstehe ich, dass
man dem ausweicht. Auch wenn eine unterbliebene Antwort an sich immer eine
Missachtung darstellt.
Man kann oder will also das Kirchengesetz bei sich
auflehnenden Laien nicht exekutieren. Das fü̈hrt zu Schlussfolgerungen, die zu
ziehen ich jedem Mitglied unserer Kirche sehr nahelege: Die einstige klerikale
Obrigkeit über das Kirchenvolk, an die
Manche noch glauben, existiert nicht mehr und steht nur auf dem Papier. Zu
absurd ist sie ja! Verlangt doch das kirchliche Gesetzbuch (Can. 212) von den
Gläubigen, sie hätten „in christlichem Gehorsam zu befolgen“, was die
Geistlichkeit „in Stellvertretung Christi“ erklärt oder bestimmt!
Diese unerträgliche Anmaßung widerspricht so gut wie allem,
was wir aus dem Evangelium erschließen können. Ebenso dem, was heute unsere
Überzeugung als von Gott mit Würde und Verantwortung ausgestattete freie
Menschen ist. Ich brauche das nicht näher auszuführen. Das ganze
Kirchengesetzbuch lässt bei kritischer Betrachtung ungehemmten Despotismus
erkennen, wie ihn nur eine Art von Größen- und Machtwahn hervorbringen kann.
Kein sonstiges Gemeinwesen der zivilisierten Welt würde es heute noch wagen,
sich solche absurde Regeln zu geben! Wie eben auch die, welche ich ins Treffen
führte, nämlich dass man automatisch aus der Gemeinschaft fällt, weil man sich eine
eigene Meinung erlaubt.
Blanke Willkür tritt uns da entgegen, etwa bei der Ernennung
von Bischöfen. Es wirkt die unbegrenzte und unkontrollierte Entscheidungsgewalt
eines einzigen fehlbaren Menschen, der sich in Missachtung der Weisung Jesu
„heiliger Vater“ nennt. Wie die wissenschaftliche Enquete der kirchlichen
Reformbewegungen vom November 2010 sichtbar gemacht hat, widerspricht die
Verfassung der Institution Kirche eklatant den heute allgemein anerkannten
Standards der Grund- und Menschenrechte. Und da wird dreist behauptet, Jesus
habe diese Kirche „eingerichtet“, wie es erst neulich der Vertreter des
Vatikans in Deutschland wieder getan hat!
Den Angehörigen eines Glaubens bedingungslosen Gehorsam
auferlegen zu wollen, sogar einen des Verstandes, verkennt und missachtet die
Natur des Menschen. Man bildet sich ein, befehlen zu können, statt durch Wort
und Beispiel dem Geist Gottes Raum zu geben. Man meint auch, Unliebsame einfach
ohne Verfahren und Begründung absetzen zu können, wie erst jüngst wieder
geschehen. Kein vernünftiger Mensch, der auch nur einen Funken Selbstachtung
hat, kann gewillt sein, sich Solchem zu unterwerfen.
So gehen sehr viele weg und eine weitaus überwiegende
Mehrheit derer, die bleiben, ignoriert Vorschriften, deren Sinnhaftigkeit sie
nicht erkennen können. Eine tiefe Spaltung ist dadurch entstanden, die heute
die Kirche belastet und lähmt. Das, was sich „kanonisches Recht“ nennt, ist
längst Unrecht geworden. Seltsamer Weise wird es als solches an den staatlichen
Universitäten gelehrt. Eigentlich sollten es hinkünftig nur mehr die Historiker
als Dokument eines längst überwundenen Absolutismus in ihr wissenschaftliches Repertoire
aufnehmen.
Das Unrechts- und Scheingebilde hat aber noch immer
verhängnisvolle Auswirkungen. Es unterstellt alle im Dienst der Kirche
Stehenden einer Ordnung, die der Verkündigung und Pflege des Glaubens schweren
Schaden zufügt. Sie sind heute die Hauptleidtragenden einer Papstdiktatur,
welche die Stirn hat, seine angebliche Einsetzung durch einen Rabbi des
Judentums in Anspruch zu nehmen, der als Gottes Sohn erkannt wurde.
Unzählige Berufungen von Menschen beiderlei Geschlechts zur
Seelsorge werden „rechtlich“ verhindert und beliebte Priester werden verjagt,
weil man stur auf Zulassungsbedingungen beharrt, die längst überholt und
theologisch nicht begründbar sind. Sakramente werden „rechtlich“ verweigert,
weil man meint, über das Schicksal von Menschen richten zu können. Was würde
Jesus dazu sagen, der uns davor warnte, zu richten? Die Seelsorge verdorrt, die
Glaubenslandschaft verödet, weil es kaum Nachwuchs gibt. Denn welcher junge
Mensch mit Verstand ist bereit, sich so einem Gewaltregime auszuliefern?
Sein Niedergang erscheint unaufhaltsam, kein vernünftiger
Mensch kann das übersehen. Unzählige dazu Legitimierte und hoch Qualifizierte,
denen Glaube und Kirche am Herz liegen, warnen, mahnen und flehen. Wie sehr würden
sie sich und wir alle uns wünschen, in einer Kirche zu leben, die zeitgemäß
gestaltet und tatsächlich dem verpflichtet wäre, was Jesus, das
fleischgewordene Wort Gottes, verkündete! Doch die Kirchenleitung verschließt
ihre Augen und Ohren. Sie hört lieber auf Denunzianten als auf Mahnende.
Wäre diese untragbare Situation eigentlich nicht ganz
einfach zu bewältigen? Wenn man merkt, dass Regeln von der überwiegenden
Mehrheit nicht mehr akzeptiert werden, muss man sie überprüfen und bessere
machen. Zu glauben, man könne das nicht mehr Taugliche durch das Einmahnen von
„Gehorsam“ weiterhin durchsetzen, lässt jede Einsicht vermissen, aber auch
allen Mut und notwendige Intelligenz.
Wir, die an die Zukunft des Christentums und einer
erneuerten Kirche glauben, sehen daher nur mehr den Ausweg des „Ungehorsams“,
um uns von der Last eines unfruchtbaren Klerikalismus zu befreien. Es bleibt
uns keine andere Möglichkeit, als die Gestaltung des Glaubenslebens endlich
denen zu entwinden, deren Tun und Unterlassen so schlechte Früchte
hervorbringt.
So erkläre ich in aller Form und unter Berufung auf mein
sorgfältig geprüftes Gewissen:
Ich verweigere als Mitglied der Katholischen Kirche dem
Codex Juris Canonici die Anerkennung, da er
1. nicht von einer dazu einwandfrei legitimierten Autorität
erlassen wurde und
2. in seiner Gestaltung und seinem Inhalt elementaren
Grundsätzen einer menschengerechten Rechtsordnung widerspricht.
Ich empfehle diese Haltung allen Katholikinnen und
Katholiken.
Erlaube mir, sehr geehrter Herr Kardinal, abschließend ein
persönliches Wort. Ich begehe keine Indiskretion, wenn ich nun in diesem
offenen Brief an Dich einen Ausspruch zitiere, den Du in einem sehr ernsten und
guten Gespräch mit mir getan hast: „Die Kirche ist eben vielfältig.“ Wie recht
Du damit hast! Aber warum unterwerft Ihr Euch im Bischofsamt dann dem Diktat
eines hartherzigen und uneinsichtigen Zentralismus?
Ladet Ihr damit nicht eine schwere und historische Schuld
auf Euch? Wäre es nicht Eure heilige Pflicht, Euch mit aller Kraft dafür
einzusetzen, dass Schein und Sein nicht mehr auseinander klaffen in Gottes
Kirche? Seht Ihr denn nicht, dass dieses System am Ende ist und dass Euch das
Volk, dessen Hirten Ihr sein sollt, nicht mehr vertrauen kann, wenn Ihr Euch
nur beugt?
Gäbe es nur wieder volle Gemeinschaft und Einmütigkeit in
der Kirche! Sinnlose vatikanische Vorschriften und Anordnungen werden das nicht
schaffen, sondern nur weiter zerstören. Da helfen keine „Neuevangelisierung“
und kein „Jahr des Glaubens“. Auch kein Umorganisieren, um den Mangel an Priestern
durch eine Verdünnung der Seelsorge scheinbar zu bewältigen. Nein, es bedarf
der großen Besinnung und der Metanoia, der Rückkehr zu den Quellen!
Die herkulische Aufgabe, den vatikanischen Augiasstall
auszumisten, werden wir als Kirchenvolk nicht schaffen können. Das läge in
Euren Händen, die auch Ihr einmal dem wahren Herrn der Kirche gegenüberstehen
werdet. Gar mit argen Flecken auf Euren prächtigen aber in ihrer Bedeutung
längst verschlissenen Gewändern?
Mit dieser brüderlichen Ermahnung eines Menschen, der weiß,
wie drückend Verantwortung für die Gemeinschaft sein kann, der man sich aber
nie und nimmer entziehen darf, verbleibe ich
als Dein Dich in größter Sorge um seine Kirche grüßender
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen