Theologieprofessor Hubertus Halbfas will das Christentum neu buchstabieren. Auf das Wort Gnade kann er gern verzichten. Es stelle die Sündigkeit des Menschen ins Zentrum, statt die Liebe.
Herr Halbfas, Sie schauen auf achtzig Lebensjahre zurück, sind ein berühmter Theologe, haben viel erreicht: Würden Sie mit Blick auf Ihr Leben von Gnade reden?
Ich hatte ein erfülltes Leben, war nie nennenswert krank und verspüre ungebrochene Lebensfreude. Im umgangssprachlichen Sinne kann ich deshalb gerne von Gnade reden. Aber was ist mit diesem Wort gewonnen? Soll ich mich mehr angenommen sehen als Menschen, die mit Gebrechen, Krankheit und anderen Lebensplagen belastet sind? Und welche Instanz sollte denn diese Gnade mal gewähren, mal verweigern?
Das heisst: Sie als Theologe können mit dem Begriff Gnade wenig anfangen?
Es gibt zwei Aspekte, die ich gerne voneinander trennen möchte. Zum einen lässt sich Gnade als Erwählung gesehen. Israel verstand sich als das von Gott erwählte Volk. Die Folgen dieses Denkens waren nicht erfreulich. Die Christen haben diese Gnadenwahl dann exklusiv auf sich selbst bezogen und sich als das neue auserwählte Volk gegen Juden und Muslime abgegrenzt. Aus diesem Ansatz wurde auch die Missionierung ursprünglicher Kulturen betrieben, von denen dann nicht viel übrig blieb.
Und der zweite Aspekt?
Dem Wort Gnade liegt die Vorstellung einer doppelstöckigen Welt zugrunde: Hier ist die eigentliche Welt «in der Höhe» angesiedelt. Der Himmel gilt als der Ort Gottes. Von dorther wird der Mensch beurteilt, und das Urteil fällt pessimistisch aus.
Das heisst?
Der Mensch wird als Sünder gesehen. Er gilt als verloren, es sei denn, dass jemand, der unendlich mehr Wert hat, als je ein Mensch haben kann, sich für den elenden Menschenwurm einsetzt, um ihn freizukaufen.
Das klingt nach keiner erlösenden Botschaft.
Gewiss nicht! In allen Kirchen hören wir, diese Erlösung des armen Sünders erfolge «um Christi willen». Das bedeutet: Der Mensch ist aus sich heraus nicht liebenswert genug. Und auch die Liebe Gottes zu den Menschen scheint nicht auszureichen. Also braucht es ein unendlich wertvolles Opfer, damit auf der anderen Seite Gnade gewährt wird. Wo aber begnadigt wird, wird noch lange nicht geliebt.
Woher stammt denn diese lieblose Gnadentheorie?
Die wichtigste Wurzel für dieses Denken kommt aus den Briefen des Apostels Paulus. Er versteht den Tod Jesu als Sühnetod, der die sündige Menschheit wieder mit Gott versöhnt.
Warum versteht er das so?
Weil es ein Gedanke seiner Zeit ist. Man konnte sich in der Antike keine Gottheit vorstellen, die ohne Opfer zu gewinnen war. Deshalb spricht Paulus auch mehrfach vom Zorn Gottes. Die Liebe aber, die für mich im Christentum zentral ist, die kommt aus einer anderen Haltung.
Woher kommt die Liebe?
Denken Sie an das Gleichnis vom verlorenen Sohn, diesem jungen Lümmel, der das Erbe des Vaters verbraucht hat und selbst heruntergekommen ist. Der wird vom Vater mit überschwenglicher Freude empfangen, nur weil er nach Hause zurückkehrt. Das zeigt den Gott, den Jesus vertritt.
Und der braucht das Wort Gnade nicht?
Hier ist keine Sühneleistung und auch kein Opfertod notwendig, und deshalb kommt man hier gut ohne das Wort Gnade aus. Denn das Gottesverständnis Jesu kennzeichnet Menschenfreundlichkeit und Güte. Sich selbst angenommen zu wissen, soll dazu bewegen, andere ähnlich anzunehmen.
Verstehen wir Sie richtig: In der Bibel gibt es zwei Arten, von Gott zu reden – und Sie halten diejenige von Paulus für überholt?
Nicht für überholt, sondern für falsch. Es ist ein anderes Gottesverständnis, als Jesus es hatte. Paulus wehrte sich dagegen, den geschichtlichen Jesus kennen zu lernen. Obwohl er fünfzehn Tage bei Petrus zu Gast war und dort Jakobus, den Bruder Jesu, sowie Johannes traf, ist ihm der historische Jesus von Nazaret fremd geblieben. Er wolle Jesus «dem Fleische nach» nicht kennen, schreibt er. Ginge es nach Paulus, hätten wir vom geschichtlichen Jesus, ausser der Bezugnahme auf seine Kreuzigung, keinen blassen Schimmer. Wir würden kein einziges Gleichnis kennen, keine Bergpredigt, kein Vaterunser, keine Schilderung, wie Jesus mit den Menschen umgegangen ist.
Paulus hat den historischen Jesus auf dessen Tod am Kreuz reduziert. Und da er seinen Tod so sehr ins Zentrum stellte, musste er diesen Kreuzestod auch deuten. Wohlgemerkt: Seine Theologie ist Interpretation! Dazu bot ihm Jesus aber keine Anleitung. Doch die Christenheit hat die Interpretation des Paulus fortgesetzt und verharrt dabei – allerdings mit immer schwächer werdender Batterie.
Würde sich die Batterie der Christenheit wieder füllen, wenn sie auf Paulus verzichtet?
Ganz so pauschal gehts nicht. Paulus hat das Christentum in die hellenistische Kultur geführt und ihm damit die Zukunft gerettet. Aber er hat wohl intuitiv gespürt, dass das Reich-Gottes-Programm Jesu in der griechisch-römischen Stadtkultur nicht zu vermitteln war. Damals hat seine Theologie das Christentum zum Erfolg geführt. Heute aber blockiert Paulus vielen Zeitgenossen den Zugang zum Christentum. Was einmal hilfreich war, kann auch störend werden.
Wie können wir denn heute einen etwas unblockierteren Zugang zum Christentum finden?
Die Botschaft Jesu hat etwas bestechend Einfaches, man muss sie nicht einmal glauben. Es handelt sich um kein komplexes Lehrsystem, sondern um eine Lebensweise, die gelebt werden will. Da heisst es: «Gott lieben mit ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst …» Hier sind Begriffe wie Erbsünde, Gnade, Natur, Rechtfertigung, Erlösung, aus denen sich schliesslich eine ganze Dogmatik entwickelt hat, nicht nötig.
Das heisst, wir könnten auf all diese schwer verständlichen Begriffe, die ja gerade jetzt, vor Ostern, den christlichen Wortschatz befrachten, verzichten?
Ja. Diese Begriffe sind nicht zentral für das Christentum, sofern man zwischen der Lehre des Paulus und dem Evangelium Jesu unterscheidet. Würde man das Leben Jesu wieder in den Mittelpunkt des Christentums stellen, könnten wir verständlich sprechen. Zugleich wäre unser Selbstverständnis ein anderes, und wir würden uns profilierter darstellen in der Gesellschaft.
Was gewänne denn an Profil, wenn man das Leben Jesu in den Mittelpunkt stellt?
Die ursprüngliche Jesusbewegung war ein Gegenpol zur allseits erfahrenen Machtausübung: Frieden schaffen und die Feinde versöhnen. Sie mutete den Armen zu, Unabhängigkeit und Freiheit zu entwickeln, als wären sie reich. Sie stand am Rande der Gesellschaft, aber entwarf eine Gesellschaftsordnung, die anders war als die herrschenden Verhältnisse. Für unsere heutige Situation ist sie immer noch Herausforderung.
Aber das griechisch geprägte Christentum des 1. Jahrhunderts hat hier einen Wandel vollzogen. Die Gemeinden passten sich der patriarchalischen Gesellschaft an und waren der Obrigkeit untertan. Der Reich-Gottes-Begriff ging im Grunde verloren.
Wovon müsste das Christentum heute sprechen?
Da wir dieses Christentum nicht haben, kann ich es auch nicht in drei Sätzen erfinden. Gewiss müssten wir zunächst die Jesusbewegung genauer studieren. Sie hat eine neue soziale Vision gestiftet. In unseren Kirchen wird viel zu ungenau von dieser Revolution der Werte gesprochen. Statt eine fromme Aura damit zu verbinden, wären präzise und nüchterne Klärungen des Programms Jesu zu erarbeiten. Das würde auch die oft verschwommene Rede von Nächstenliebe konkretisieren, unser soziales und wirtschaftliches Denken schärfen, inhumane Herrschaft bewusster machen und die Bereitschaft zum Statusverzicht fördern.
Sie haben in diesem Zusammenhang verschiedentlich auf die Tischgemeinschaft Jesu verwiesen. Was spielt sie für eine Rolle?
Ich sehe in der offenen Tischgemeinschaft, von der Jesus in Gleichnissen er-zählt und die er selbst praktizierte, ein Symbol für sein Reich-Gottes-Verständnis. Nicht Wohltätigkeit, sondern Tischgemeinschaft. Wohltätigkeit geschieht von oben nach unten. Tischgemeinschaft ist egalitär. In der Praxis Jesu bestätigen Tischgenossen nicht den eigenen Sozialstatus. Aber wie man das, was einst im Lebensvollzug seinen Ort hatte, kultisch lebendig halten kann, ist eine andere Frage.
Welche Folgen hätten Ihre Vorstellungen für die heutige Kirche?
Die katholische Kirche wäre in ihrer hierarchischen Struktur mehr betroffen als Kirchen mit demokratischen Gemeindeordnungen. Sie hat ihre Ämterstruktur im Patriarchalismus des Römischen Reichs entwickelt. Das Produkt eines jesuanischen Stiftungswillens ist es nicht. Aber alle Kirchen hätten ihre paulinische Tradition neu zu überdenken.
Die reformatorischen Kirchen sind in ihrer Fixierung auf den Pfarrer immer noch am katholischen Modell orientiert. Ich kenne keine Basisgemeinden, die sich aus der spirituellen Kompetenz und dem Engagement ihrer Mitglieder aufbauen. Will die Kirche eine Zukunft haben, muss sie die Verantwortlichkeit des Einzelnen stärker einbeziehen. Überfällig ist zudem ein Update von Gottesdiensten, Liedern und Gebeten, ganz zu schweigen von einer längst fälligen Glaubensreform für die meisten Predigten.
Interview: Reinhard Kramm, Annegret Ruoff
Quelle: reformiert.info
Ich hatte ein erfülltes Leben, war nie nennenswert krank und verspüre ungebrochene Lebensfreude. Im umgangssprachlichen Sinne kann ich deshalb gerne von Gnade reden. Aber was ist mit diesem Wort gewonnen? Soll ich mich mehr angenommen sehen als Menschen, die mit Gebrechen, Krankheit und anderen Lebensplagen belastet sind? Und welche Instanz sollte denn diese Gnade mal gewähren, mal verweigern?
Das heisst: Sie als Theologe können mit dem Begriff Gnade wenig anfangen?
Es gibt zwei Aspekte, die ich gerne voneinander trennen möchte. Zum einen lässt sich Gnade als Erwählung gesehen. Israel verstand sich als das von Gott erwählte Volk. Die Folgen dieses Denkens waren nicht erfreulich. Die Christen haben diese Gnadenwahl dann exklusiv auf sich selbst bezogen und sich als das neue auserwählte Volk gegen Juden und Muslime abgegrenzt. Aus diesem Ansatz wurde auch die Missionierung ursprünglicher Kulturen betrieben, von denen dann nicht viel übrig blieb.
Und der zweite Aspekt?
Dem Wort Gnade liegt die Vorstellung einer doppelstöckigen Welt zugrunde: Hier ist die eigentliche Welt «in der Höhe» angesiedelt. Der Himmel gilt als der Ort Gottes. Von dorther wird der Mensch beurteilt, und das Urteil fällt pessimistisch aus.
Das heisst?
Der Mensch wird als Sünder gesehen. Er gilt als verloren, es sei denn, dass jemand, der unendlich mehr Wert hat, als je ein Mensch haben kann, sich für den elenden Menschenwurm einsetzt, um ihn freizukaufen.
Das klingt nach keiner erlösenden Botschaft.
Gewiss nicht! In allen Kirchen hören wir, diese Erlösung des armen Sünders erfolge «um Christi willen». Das bedeutet: Der Mensch ist aus sich heraus nicht liebenswert genug. Und auch die Liebe Gottes zu den Menschen scheint nicht auszureichen. Also braucht es ein unendlich wertvolles Opfer, damit auf der anderen Seite Gnade gewährt wird. Wo aber begnadigt wird, wird noch lange nicht geliebt.
Woher stammt denn diese lieblose Gnadentheorie?
Die wichtigste Wurzel für dieses Denken kommt aus den Briefen des Apostels Paulus. Er versteht den Tod Jesu als Sühnetod, der die sündige Menschheit wieder mit Gott versöhnt.
Warum versteht er das so?
Weil es ein Gedanke seiner Zeit ist. Man konnte sich in der Antike keine Gottheit vorstellen, die ohne Opfer zu gewinnen war. Deshalb spricht Paulus auch mehrfach vom Zorn Gottes. Die Liebe aber, die für mich im Christentum zentral ist, die kommt aus einer anderen Haltung.
Woher kommt die Liebe?
Denken Sie an das Gleichnis vom verlorenen Sohn, diesem jungen Lümmel, der das Erbe des Vaters verbraucht hat und selbst heruntergekommen ist. Der wird vom Vater mit überschwenglicher Freude empfangen, nur weil er nach Hause zurückkehrt. Das zeigt den Gott, den Jesus vertritt.
Und der braucht das Wort Gnade nicht?
Hier ist keine Sühneleistung und auch kein Opfertod notwendig, und deshalb kommt man hier gut ohne das Wort Gnade aus. Denn das Gottesverständnis Jesu kennzeichnet Menschenfreundlichkeit und Güte. Sich selbst angenommen zu wissen, soll dazu bewegen, andere ähnlich anzunehmen.
Verstehen wir Sie richtig: In der Bibel gibt es zwei Arten, von Gott zu reden – und Sie halten diejenige von Paulus für überholt?
Nicht für überholt, sondern für falsch. Es ist ein anderes Gottesverständnis, als Jesus es hatte. Paulus wehrte sich dagegen, den geschichtlichen Jesus kennen zu lernen. Obwohl er fünfzehn Tage bei Petrus zu Gast war und dort Jakobus, den Bruder Jesu, sowie Johannes traf, ist ihm der historische Jesus von Nazaret fremd geblieben. Er wolle Jesus «dem Fleische nach» nicht kennen, schreibt er. Ginge es nach Paulus, hätten wir vom geschichtlichen Jesus, ausser der Bezugnahme auf seine Kreuzigung, keinen blassen Schimmer. Wir würden kein einziges Gleichnis kennen, keine Bergpredigt, kein Vaterunser, keine Schilderung, wie Jesus mit den Menschen umgegangen ist.
Paulus hat den historischen Jesus auf dessen Tod am Kreuz reduziert. Und da er seinen Tod so sehr ins Zentrum stellte, musste er diesen Kreuzestod auch deuten. Wohlgemerkt: Seine Theologie ist Interpretation! Dazu bot ihm Jesus aber keine Anleitung. Doch die Christenheit hat die Interpretation des Paulus fortgesetzt und verharrt dabei – allerdings mit immer schwächer werdender Batterie.
Würde sich die Batterie der Christenheit wieder füllen, wenn sie auf Paulus verzichtet?
Ganz so pauschal gehts nicht. Paulus hat das Christentum in die hellenistische Kultur geführt und ihm damit die Zukunft gerettet. Aber er hat wohl intuitiv gespürt, dass das Reich-Gottes-Programm Jesu in der griechisch-römischen Stadtkultur nicht zu vermitteln war. Damals hat seine Theologie das Christentum zum Erfolg geführt. Heute aber blockiert Paulus vielen Zeitgenossen den Zugang zum Christentum. Was einmal hilfreich war, kann auch störend werden.
Wie können wir denn heute einen etwas unblockierteren Zugang zum Christentum finden?
Die Botschaft Jesu hat etwas bestechend Einfaches, man muss sie nicht einmal glauben. Es handelt sich um kein komplexes Lehrsystem, sondern um eine Lebensweise, die gelebt werden will. Da heisst es: «Gott lieben mit ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst …» Hier sind Begriffe wie Erbsünde, Gnade, Natur, Rechtfertigung, Erlösung, aus denen sich schliesslich eine ganze Dogmatik entwickelt hat, nicht nötig.
Das heisst, wir könnten auf all diese schwer verständlichen Begriffe, die ja gerade jetzt, vor Ostern, den christlichen Wortschatz befrachten, verzichten?
Ja. Diese Begriffe sind nicht zentral für das Christentum, sofern man zwischen der Lehre des Paulus und dem Evangelium Jesu unterscheidet. Würde man das Leben Jesu wieder in den Mittelpunkt des Christentums stellen, könnten wir verständlich sprechen. Zugleich wäre unser Selbstverständnis ein anderes, und wir würden uns profilierter darstellen in der Gesellschaft.
Was gewänne denn an Profil, wenn man das Leben Jesu in den Mittelpunkt stellt?
Die ursprüngliche Jesusbewegung war ein Gegenpol zur allseits erfahrenen Machtausübung: Frieden schaffen und die Feinde versöhnen. Sie mutete den Armen zu, Unabhängigkeit und Freiheit zu entwickeln, als wären sie reich. Sie stand am Rande der Gesellschaft, aber entwarf eine Gesellschaftsordnung, die anders war als die herrschenden Verhältnisse. Für unsere heutige Situation ist sie immer noch Herausforderung.
Aber das griechisch geprägte Christentum des 1. Jahrhunderts hat hier einen Wandel vollzogen. Die Gemeinden passten sich der patriarchalischen Gesellschaft an und waren der Obrigkeit untertan. Der Reich-Gottes-Begriff ging im Grunde verloren.
Wovon müsste das Christentum heute sprechen?
Da wir dieses Christentum nicht haben, kann ich es auch nicht in drei Sätzen erfinden. Gewiss müssten wir zunächst die Jesusbewegung genauer studieren. Sie hat eine neue soziale Vision gestiftet. In unseren Kirchen wird viel zu ungenau von dieser Revolution der Werte gesprochen. Statt eine fromme Aura damit zu verbinden, wären präzise und nüchterne Klärungen des Programms Jesu zu erarbeiten. Das würde auch die oft verschwommene Rede von Nächstenliebe konkretisieren, unser soziales und wirtschaftliches Denken schärfen, inhumane Herrschaft bewusster machen und die Bereitschaft zum Statusverzicht fördern.
Sie haben in diesem Zusammenhang verschiedentlich auf die Tischgemeinschaft Jesu verwiesen. Was spielt sie für eine Rolle?
Ich sehe in der offenen Tischgemeinschaft, von der Jesus in Gleichnissen er-zählt und die er selbst praktizierte, ein Symbol für sein Reich-Gottes-Verständnis. Nicht Wohltätigkeit, sondern Tischgemeinschaft. Wohltätigkeit geschieht von oben nach unten. Tischgemeinschaft ist egalitär. In der Praxis Jesu bestätigen Tischgenossen nicht den eigenen Sozialstatus. Aber wie man das, was einst im Lebensvollzug seinen Ort hatte, kultisch lebendig halten kann, ist eine andere Frage.
Welche Folgen hätten Ihre Vorstellungen für die heutige Kirche?
Die katholische Kirche wäre in ihrer hierarchischen Struktur mehr betroffen als Kirchen mit demokratischen Gemeindeordnungen. Sie hat ihre Ämterstruktur im Patriarchalismus des Römischen Reichs entwickelt. Das Produkt eines jesuanischen Stiftungswillens ist es nicht. Aber alle Kirchen hätten ihre paulinische Tradition neu zu überdenken.
Die reformatorischen Kirchen sind in ihrer Fixierung auf den Pfarrer immer noch am katholischen Modell orientiert. Ich kenne keine Basisgemeinden, die sich aus der spirituellen Kompetenz und dem Engagement ihrer Mitglieder aufbauen. Will die Kirche eine Zukunft haben, muss sie die Verantwortlichkeit des Einzelnen stärker einbeziehen. Überfällig ist zudem ein Update von Gottesdiensten, Liedern und Gebeten, ganz zu schweigen von einer längst fälligen Glaubensreform für die meisten Predigten.
Interview: Reinhard Kramm, Annegret Ruoff
Quelle: reformiert.info
2 Kommentare:
Wenn andere mich (berechtigterweise) verurteilen, brauche ich wenigstens einen gnädigen Gott.
Wenn Gott den Menschen umarmt, dann heißt das nicht, dass dieser nicht ein Sünder ist, sondern Gott umarmt ihn trotzdem, obwohl er ein Sünder ist. (Zur Ehebrecherin sagt Jesus, nachdem er sie freigesprochen hat: Sündige nicht mehr.)
"In allen Kirchen hören wir (fälschlicherweise): Der Mensch ist aus sich heraus nicht liebenswert genug."
Naja! Probe, wie es in der Praxis ist: Man müsste die Kollegen, Assistenten und Studenten, die Verwandten, Nachbarn und andere Bezugspersonen von Prof. Halbfas fragen, wie das im Alltag ist. - Und wie liebenswert von sich aus sind seiner Meinung nach z.B die Anhänger der IS? -
Wenn Gott alle Menschen liebt, verhält er sich uns gegenüber nur so, wie es uns zusteht? Brauchen wir wirklich keinen Erlöser? -
"Wo begnadigt wird, wird noch lange nicht geliebt." - Das gilt meist im menschlichen Bereich. Gott aber begnadigt, weil er liebt.
Die Theologie von Prof. Halbfas ist meiner Ansicht nach wirklich gnadenlos. Gerade die Gnade Gottes ist die Ursache meiner Freude.
Und weshalb starb Jesus am Kreuz?
War es nur ein Unfall?
Oder starb er eh gar nicht am Kreuz? - weil auferstanden ist er ja auch nicht, wie Herr Halbfas ja behauptet!
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