Freitag, 1. August 2014

Satan auf der Schulter

Fundamentalisten sollen die katholische Kirche in Österreich erneuern. Das hofft zumindest der Wiener Kardinal 

Die Kirche in Österreich sei schuldig, davon ist der Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn überzeugt. Das kommt so: Als der Vatikan in den sechziger Jahren die Pille ächtete, gestanden ausgerechnet Österreichs Bischöfe ihren Gläubigen zu, nach ihrem Gewissen selbst zu entscheiden. Für Schönborn ist das die Ursünde des österreichischen Katholizismus.

Die Oberhirten jener Jahre hätten Angst gehabt, so predigte er im Jahr 2008 in Israel vor Anhängern des Neokatechumenalen Wegs, Angst vor der Presse, Angst vor dem "Unverständnis unserer Gläubigen", Angst, gegen den Strom zu schwimmen. Das Publikum hörte das gerne. Schließlich haben die Katholiken des Neokatechumenalen Wegs keine Angst, gegen den Strom zu schwimmen. Sie sind sogar besonders stolz darauf, dass sie es tun.

Alle Päpste seit Paul VI. haben diese verschworene Gemeinschaft als neue Hoffnung für die Kirche gefördert. Obwohl kaum bekannt, ist der Neokatechumenale Weg eine der mächtigsten Bewegungen strenggläubiger Katholiken in der Kirche; und Schönborn ist, was kaum jemand weiß, einer der mächtigsten Förderer des Wegs im deutschen Sprachraum.

Das Ziel des Wegs: die Kirche zurückführen zu einer Art frühchristlicher Glaubensstrenge. Die Anhänger der sektenartigen Kirchenfraktion sind dem Stuhl Petri treu ergeben. Sie glauben an die Gegenwart des Satans. Sie verdammen Geburtenkontrolle und Homosexualität als Teufelswerk. Kurz: Für Schönborn sind sie ganz anders als das renitente Kirchenvolk, mit dem er sonst zu tun hat – so herzerfrischend, so unkompliziert, so treu.

Die aufmüpfigen Katholiken in Europa sollen so zu einem neuen Verständnis von Taufe und Gehorsam angeleitet werden. Gerade diese Unangepasstheit an den Zeitgeist mache den Weg, so Schönborn, zum "Trost für Europa". Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sahen das ähnlich. Sie ermöglichten es dem Weg sogar, eigene Priesterseminare zu eröffnen für alle, die sich irgendwann zu Höherem, also zu Weihe und Zölibat berufen fühlen und nicht gewillt sind, den gottgefälligen Weg zu verlassen.

Dabei steht an der Spitze des Wegs kein Geweihter, sondern ein Künstler: der spanische Maler Kiko Argüello. Mitte der sechziger Jahre war ihm angeblich die Jungfrau Maria erschienen. Argüello zog in ein Armenviertel bei Madrid und fing an, für die Gestrandeten zu singen. Die erste Gemeinschaft entstand. Heute ist der Weg mit 20.000 Gemeinschaften in 1.300 Bistümern aktiv. 1,5 Millionen Gläubige sollen ihm angehören. Zudem betreibt er 100 Priesterseminare weltweit, eines davon, das Missionskolleg Redemptoris Mater, steht am Wolfrathplatz in Wien. 37 Seminaristen aus 20 Nationen werden hier ausgebildet. Bereits heute sind 23 Priester des Wegs im Erzbistum aktiv. Kardinal Schönborn ist sich sicher: "Wenn wir nicht dieses Seminar hätten, welche Armut in unseren Diözesen wegen des Fehlens an Berufungen." Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis ein Priester des Wegs es bis zum Bischof bringt? Wie aber stellen sich diese Bischöfe von morgen die Kirche der Zukunft vor?

In Wien gibt es darauf von offizieller Seite keine Antwort. Hier lehnen der Leiter des Priesterseminars, der Österreich-Verantwortliche des Wegs, ein ehemaliger Apotheker, sowie Schönborn selbst ein Gespräch ab. Antworten muss man anderswo suchen. In Linz etwa. Seit 2005 wirkt dort Ludwig Schwarz – ein ehemaliger Wiener Weihbischof unter Schönborn – als Oberhirte. Schwarz gilt als konservativ, blass und loyal gegenüber Rom und seinem alten Chef. Damit ist er so ziemlich das Gegenteil seines Vorgängers Maximilian Aichern. Der geißelte gerne die Atomindustrie, ließ Flüchtlingsfamilien in seinem Bischofssitz wohnen und bekundete noch als Bischof außer Dienst Verständnis für die Pfarrer-Initiative von Helmut Schüller.

Was mit dem befreiten Geld genau geschieht, wissen die meisten Gläubigen nicht
Vor fünf Jahren erreichte Schwarz die Nachricht, dass in der Linzer Pfarre Herz Jesu etwas nicht in Ordnung sei. Die Pfarre wird von einem Pfarradministrator und einem Kaplan geleitet, die beide dem Weg angehören. Elternvertreter beklagten sich, der Pfarradministrator habe ihren Kindern eingeredet, der Teufel sitze ihnen auf der Schulter. Zudem spalte das Neokatechumenat die Gemeinde in Erleuchtete und Sonntagschristen – ein Vorwurf, der auf der ganzen Welt in Pfarren erhoben wird, in die der Weg eingedrungen ist.

Im Frühjahr 2012 führt Franz Handlechner, Dechant des Bistums Linz, eine offizielle Visitation in der Herz-Jesu-Pfarre durch. Der Visitationsbericht, welcher der ZEIT vorliegt, erhebt schwere Vorwürfe. Die Geistlichen des Wegs hätten "eine Seelsorge des Verärgerns, Vertreibens und Verletzens" praktiziert. "Erwachsene, psychisch gefestigte Personen" seien "zur Verzweiflung gebracht" worden. Kinder mussten öffentlich im Pfarrsaal beichten und bei der Erstkommunion Satan entsagen. "Familie ist wichtig", so soll der Pfarradministrator seine eigene Interpretation der katholischen Sexualmoral verkündigt haben, "aber nicht die mit zwei Kindern, sondern die mit vier, fünf oder sieben Kindern."

Der Bericht belegt: Die Priester ignorierten oder entmachteten alle gemeindeinternen Kontrollinstanzen. Die Folge: Ein Exodus von 256 ehrenamtlich engagierten Katholiken, die mit dem Weg nichts anfangen konnten und die Pfarre verließen – "und es ist den beiden neokatechumenalen Priestern egal, dass sie weg sind", steht im Visitationsreport.

Warum konnte der Weg in Herz Jesu schalten und walten, wie er wollte? In dem Brief der Dekanatsleitung heißt es: "Hinweisen möchten wir, dass es vermutlich eine Absicht des Kardinals Schönborn ist, die räumlichen Gegebenheiten von Herz Jesu zu nutzen, um hier einen Stützpunkt des Neokatechumenats in Oberösterreich zu etablieren: wir wissen (...), dass der Kardinal einmal in Herz Jesu war, um die Lokalitäten zu erkunden." Der Bericht gipfelt in einem Appell an Bischof Schwarz: "Du hast die Verantwortung, dem Einhalt zu gebieten. Was muss noch alles passieren, damit du handelst?" Schwarz jedoch versetzte die Priester nicht. Das Bistum kommentiert das so: "Auf die Wünsche des Bischofs sind beide Priester im Wesentlichen eingegangen. Deshalb sind sie auch weiterhin im Amt."

Was aber macht den Weg für die Kirche so attraktiv? Neben den Berufungen zum Priesteramt sind es wohl vor allem die vielen Geburten. Oft ziehen Ehepaare des Wegs fünf oder mehr Kinder groß. Jedes von ihnen gilt im Weg als Beweis, dass man die katholische Sexualmoral tatsächlich lebe. Das gefällt den Bischöfen. Diesen Kirchenfürsten ist zahlreicher Nachwuchs noch immer Synonym für eine heile Glaubenswelt mit gottgefälligem Eheleben. So auch Schönborn: "Ich komme aus einer geschiedenen Familie", predigte er 2008 vor den Anhängern des Wegs, "meine Eltern waren geschieden, mein Großvater war geschieden, meine zwei Brüder waren geschieden." Im Weg hingegen sind Scheidungen undenkbar. Dafür sorgt ein ausgeklügeltes System sozialer Kontrolle.

Anton Hofer (Name von der Redaktion geändert) hat dieses System am eigenen Leib erlebt. Beinahe 20 Jahre gehörte er einer Gemeinschaft des Neokatechumenats in einer österreichischen Großstadt an. "Öffentliche Gewissenserforschungen", sagt er, "waren da selbstverständlich." Auch für Priester. Einmal habe er sogar erlebt, wie ein Priester vor der Gemeinschaft über seine Gelüste sprechen musste. Unwürdig sei das gewesen.

Aber die Kontrolle könne nicht nur beengen, sie könne auch behüten. Das erfuhr Hofer Anfang der neunziger Jahre. Damals habe er, erzählt er, in einer Lebenskrise gesteckt und Halt gesucht, so wie viele, die auf den Weg aufmerksam geworden sind. Der Weg gab ihm, was er brauchte: Geborgenheit, Regeln, Struktur. Irgendwann aber wurde die Struktur übermächtig. Sie fraß das Leben, bis kaum mehr etwas übrig blieb.
Jede Gemeinschaft des Wegs wird von einem Verantwortlichen und einem Katechisten geleitet. Ihnen gehorcht die Gemeinschaft. Dabei sind beide nur ganz normale Laien. Ausbildung oder Weihe braucht es für ein Amt im Weg nicht. Den Katechisten infrage zu stellen ist dabei ebenso verpönt wie freies Denken oder jeder Hauch von Kritik. Nur das persönliche Glaubenszeugnis zählt, das Bekenntnis. Der Theologe Paul Zulehner nennt das den "strategisch genötigten Glaubensweg" des Katechumenats.

"Es gibt Universitätsprofessoren im Weg", erinnert sich Hofer, "die ohne den Katechisten die einfachsten Dinge des Lebens nicht entscheiden konnten." Der Weg gliedert sich in Stufen, die der frühchristlichen Vorbereitung auf die Taufe, dem sogenannten Katechumenat, nachgebildet sind. Wer eine gewisse Stufe erreicht, entrichtet den "Zehnten" und spendet zehn Prozent seines Bruttoeinkommens an den Weg. Zudem ist es üblich, bei den Übergangsritualen, den Scrutinien, Geldopfer zu erbringen. Geld gilt im Weg als Götze. Der Gläubige müsse sich davon befreien. Was mit dem befreiten Geld genau geschieht, wissen die meisten Gläubigen nicht.

Die Priesterberufungen und die Geburtenzahlen machten ihn mächtig
Warum tut sich das ein frommer Mensch an? "Weil ein Leben außerhalb des Wegs nach einiger Zeit undenkbar ist", erklärt Hofer. Schließlich gibt man dem Weg alles, seine Zeit, sein Geld. Da fällt der Ausstieg schwer. Anton Hofer hat ihn geschafft. "Bei einer Katechese hieß es: Gott schickt dir Krebs, eine Frau, die dich betrügt, Kinder, die Drogen nehmen – gerade deshalb musst du ihn lieben!" Unsinn, dachte Hofer, und sagte das dem Katechisten. Der antwortete: "Was ich sage, ist das Wort Gottes." Eine Häresie für Hofer: "Da wusste ich, ich muss gehen."

Anton Hofer hatte Glück. Nach seinem Ausstieg wurde er nicht wie viele Abtrünnige von seiner Gemeinschaft geächtet – eine Praxis übrigens, die Papst Franziskus bereits öffentlich kritisierte. Noch heute sind seine Frau und seine Kinder im Weg. Manchmal geht er sogar mit ihnen am Samstagabend zur Eucharistie. "Die ist wirklich schön." Wahrscheinlich hofft die Gemeinschaft immer noch, dass er eines Tages in den Schoß der Gemeinde zurückkehrt.

Wie viele Aussteiger hat auch er sich damals an die Kirche gewandt. Sie sollte wissen, was vorgeht in den Zellen des Wegs. Der Vertreter seines Heimatbistums, erzählt Anton Hofer, habe auch tatsächlich Verständnis gehabt für seine Not. Getan aber hat er nichts. Was könne die Kirche auch tun gegen den Weg? Die Priesterberufungen und die Geburtenzahlen machten ihn mächtig.

Ähnlich sprach- und antriebslos blieb die Kirche auch im Falle der Herz-Jesu-Pfarre in Linz. Kurz nach seiner Visitation trat Franz Handlechner als Dechant des Bistums Linz zurück. Vorher schickte er aber noch ein Exemplar seines Berichts nach Wien, an Kardinal Schönborn persönlich.
Der Kardinal hat nie auf die Post aus Linz reagiert.

Quelle: Zeit Online

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