Bischof Erwin Kräutler über Reformen in der Kirche unter Papst Franziskus und über den Kampf für das Überleben der Menschheit.
Nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. haben Sie der Tiroler Tageszeitung gesagt, dass der nächste Papst mit viel Mut Reformen anpacken müsse. Entspricht Franziskus Ihren Vorstellungen?
Erwin Kräutler: Ja sicher! Allerdings gibt es zwei Reformebenen. Die Kurienreform ist eher nach innen gerichtet. Festgefahrene Strukturen zu ändern war nie einfach. Die Alteingesessenen schreien gleich einmal: „'S war immer so!“
In Bezug auf die Weltkirche ist Franziskus auch an Vorgegebenheiten gebunden. Es ist für ihn gar nicht einfach, die Weichen im Alleingang von heute auf morgen zu verstellen. Deshalb will der Papst, dass die Bischöfe sich einbringen, und er ruft sie auf, konkrete, mutige Vorschläge zu machen.
Ich bin überzeugt, dass viele Reformen vom Mut der Bischofskonferenzen abhängen, diese vorzuschlagen und auch mitzutragen. Franziskus weitet diese Dimension noch aus und lässt in allen Diözesen Umfragen zu bestimmten Themen durchführen.
Sie haben an der Enzyklika „Laudato si“ mitgearbeitet, in der es im Wesentlichen um Ökologie geht. Was ist für Sie die Kernaussage dieses 200-Seiten-Dokuments?
Kräutler: Meine Mitwirkung hat sich auf Amazonien und die indigenen Völker beschränkt, und ich bin dankbar, dass diese Themen ganz klar zur Sprache kommen.
In der Enzyklika geht es um einen Aufruf an die Weltgemeinschaft, endlich den besorgniserregenden Zustand des Planeten Erde ernst zu nehmen und Wege zu finden, dieses unser gemeinsames Haus auch für die zukünftigen Generationen bewohnbar zu erhalten. Es geht um das Überleben der Menschheit. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Enzyklika die Überzeugung, dass unsere Sorge unserer Mitwelt gehören muss, der Welt, in der und mit der wir leben und für die wir verantwortlich sind. Der Papst räumt auch mit einer Fehlinterpretation von Genesis 1,28 „Macht euch die Erde untertan“ auf. Es geht nicht um Unterwerfung, sondern um Sorge für das anvertraute Gut.
Was kann „Laudato si“ bewirken? Sehen Sie eine realistische Möglichkeit, dass die Enzyklika über den Kreis der katholischen Insider hinaus Einfluss auf Wirtschaft und Politik nimmt?
Kräutler: Wir alle erhoffen uns genau das. Die Enzyklika ist ein Lehrschreiben, das die ganze Welt angeht. Erderwärmung, Klimawandel, Abfall- und Wegwerfkultur und Verschlechterung der Lebensqualität sind Probleme, die die gesamte Menschheit betreffen. Der Verlust biologischer Vielfalt ist ein weltweites Problem. Mit der Ausrottung auch nur einer einzigen Spezies geht jedes Mal unwiderruflich ein Stück von uns selbst verloren. Das Sterben unserer Mitwelt bringt uns selbst den Tod.
Der Papst hat den Mut, Politikern und Wirtschaftsverantwortlichen ins Gewissen zu reden, die nicht aufhören, ein System zu rechtfertigen, in dem ein Streben nach finanziellem Ertrag vorherrscht. Kritische Stimmen waren zu erwarten, die den Papst sozusagen in die Sakristei der Petrusbasilika in Rom verbannen wollen. Leute, die so reden, haben die Enzyklika nicht oder nur oberflächlich oder voreingenommen gelesen.
Das Datum der Veröffentlichung der Enzyklika (18. Juni) war so gewählt, dass das Schreiben vor der Sommerpause die Mächtigen der nördlichen Halbkugel erreicht, ganz sicher auch im Hinblick auf die UNO-Klimakonferenz in Paris Ende November.
Der Papst hat gerade auf seiner ersten Südamerika-Reise eine Art Heimspiel absolviert. Was bedeutet es für Europäer, dass das Bild der Weltkirche immer weniger europäisch aussieht?
Kräutler: Schon die Wahl eines Lateinamerikaners zum Papst war für die Kirchen in Europa ein heilsamer Hinweis, dass unsere Kirche eben „katholisch“ ist — das meint im Griechischen „umfassend“ oder „weltumspannend“. In Lateinamerika leben heute 41 Prozent der Katholiken. Schon deshalb war es naheliegend, einen Papst aus diesem Kontinent zu wählen. Aber ich bin überzeugt, dass nicht die Statistiken den Ausschlag gegeben haben, sondern dass die wahlberechtigten Kardinäle sich neue Impulse für die Weltkirche erwartet haben.
Vor allem sein Stil hat Papst Franziskus über alle konfessionellen Grenzen hinweg sympathisch gemacht. Schon bei seinem ersten schlichten „Buona sera“ kurz nach seiner Wahl hat er mit der Auffassung aufgeräumt, der Papst sei so etwas wie ein Halbgott. Bei einer Privataudienz und im Haus Santa Martha habe ich seine einfache, brüderlich-väterliche Art selber erlebt.
Aber es geht nicht nur um Gesten, sondern vielmehr um seine Botschaft. Im Vor-Konklave sagte der damalige Kardinal-Erzbischof von Buenos Aires Worte, die sicher auf die Kardinäle so nachhaltig wirkten, dass sie ihn wenige Tage später zum Papst wählten: „Evangelisierung setzt in der Kirche Parrhesia (Wagemut, Kühnheit, Furchtlosigkeit) voraus. Sie ist aufgerufen, aus sich herauszugehen und an die Ränder zu gehen. Nicht nur an die geografischen Ränder, sondern an die Grenzen der menschlichen Existenz.“
Quelle: Tiroler Tageszeitung >>
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