Dienstag, 16. August 2016
Zulehner: Papst sollte Holl, Drewermann und Küng anrufen
Zulehner: Papst sollte Holl, Drewermann und Küng anrufen
Wiener Pastoraltheologe blickt in Kirchenzeitung-Interview auf Aufbrüche und Reformen von den 1960er-Jahren bis heute zurück - Kirche leidet nicht nur unter einem Priestermangel, sondern an einem Weihemangel, "weil manche Laien faktisch priesterliche Aufgaben wahrnehmen"
Wien, 12.08.2016 (KAP) "Ganz toll fände ich es, würde Papst Franziskus zum Telefon greifen und Adolf Holl, Hans Küng und Eugen Drewermann anrufen und sie bitten, sich ihrem eigenen biographischen Traum entsprechend wieder mehr in die Kirche und ihre Entwicklung einzubringen": Das betonte der Wiener Pastoraltheologe Prof. Paul Zulehner in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag". Das Beispiel von Martin Luther zeige, "dass manchmal die Besten die Kirche verlassen haben, vielleicht auch verlassen mussten, weil sie mit ihren kühnen Ideen zu früh dran waren". Zulehner äußerte sich im "Sonntag"-Interview im Rahmen einer Serie anlässlich des Amtsantritt von Franz Königs als Erzbischof von Wien vor genau 60 Jahren.
Der Pastoraltheologe analysierte im Interview die entscheidenden Weichenstellungen der "Ära König" in Kirche und Gesellschaft. Die Bedeutung des 1968er-Jahres für Gesellschaft und Kirche werde dabei von vielen unterschätzt, so Zulehner. Es sei nämlich um den "in vieler Hinsicht gelungenen Versuch" gegangen, die Freiheitsgrade der Menschen zu erweitern. Zugleich hätten damit aber auch "tragische Entwicklungen" ihren Anfang genommen.
Manche Aspekte an den lebensgestaltenden Kräften wie Institutionen, Normen, oder Autoritäten seien damals als repressiv und freiheitsberaubend erlebt und erlitten worden. "Befreiung, Emanzipation stand auf dem Programm. Das Gewicht verschob sich von der Institution zur Person", so Zulehner.
Der Theologe erläuterte diese Entwicklung am Beispiel der Ehe: "Jetzt zählt nicht mehr der Vertrag, sondern das Vertragen, also die persönliche Liebe. Und nichts ist so verwundbar wie die Liebe. Das erklärt die rasche Destabilisierung der Beziehungen, mit oder ohne Trauschein."
Auch die Beichte sei von vielen Menschen "eher als Kontrollinstrument denn als Heilungsort erlebt" worden. Deshalb hätten auch viele aufgehört zu beichten. Zulehner: "Heilung suchten sie dann bei guten Therapeuten oder bei liebevollen Menschen. Papst Franziskus versucht diese tragische Entwicklung zu beenden."
Sozialmodell der "Priesterkirche" beendet
Ende der 1960er Jahre zeigte das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) erste Auswirkungen. Das Konzil habe offiziell das Sozialmodell der "Priesterkirche" beendet, so Zulehner. Der tiefe Graben zwischen den aktiv betreuenden Priestern und den vielen sei zugeschüttet worden. Laien hätten nach und nach ehrenamtliche Aufgaben übernommen. In den Pfarrgemeinderäten hätten sie auch eine Plattform der Mitberatung und Mitgestaltung gefunden, "wichtig war auch das Aufblühen der Beteiligung der Laien am Wirken der Kirche in den Laienorganisationen, der Katholischen Aktion, in den Verbänden. Auch wurden neben den Pfarrgemeinden sogenannte kategoriale Dienste ausgebaut."
Heute würde man sagen, Kirche ereigne sich zunehmend über die Pfarrgemeinden hinaus auch an anderen Orten - "in einer Hochschulgemeinde, in einem Familienkreis, in einer Ökumenischen Morgenfeier im Rundfunk", sagte der Wiener Theologe. Freilich sei als Folge des Konzils die Liturgie auch ein wenig nüchterner und manchmal auch banaler geworden, räumte er ein. Sehr wichtig sei zugleich die Entdeckung der Wortgottesliturgie gewesen, "und zwar nicht als Sonntagsmessersatz, sondern als Glaubensfeier mit eigener Würde". Auch das Lesen der Bibel sei insgesamt wichtiger geworden.
Viele seelsorgliche Aufgaben seien von den Priestern zu kompetenten, gut ausgebildeten Frauen und Männern übergegangen. Der Grund dafür sei aber nicht allein der Priestermangel, so Zulehner: "Eine Rolle spielte, dass es aufwändiger wurde, Menschen zu einer persönlichen Entscheidung für das Evangelium zu gewinnen. Laienseelsorger, Frauen wie Männer, trugen zu einer qualitätsvollen Seelsorge bei."
Heute, angesichts des grassierenden Priestermangels, seien die Laien aus der Seelsorge nicht mehr wegzudenken. Dabei zeige sich, "dass die Kirche nicht nur unter einem Priestermangel leidet. Vielmehr gibt es auch einen Weihemangel, weil manche Laien faktisch priesterliche Aufgaben wahrnehmen."
Vielfalt ist Reichtum der Kirche
Zur Frage, inwieweit neue Bewegungen wie das Opus Dei, die Charismatische Erneuerung oder das Neokatechumenat die Kirche bereicherten, meinte Zulehner, dass sich im Lauf der bewegten Geschichte der Kirche immer Menschen um Gründergestalten zu neuen Gemeinschaften unterschiedlicher Art zusammengeschlossen hätten. Die Orden seien das wichtigste Beispiel, "was auch bedeutet, dass das Sterben vieler Orden eine massive Schwächung der Kirche im Land darstellt".
In neuerer Zeit seien andere Nachfolgegemeinschaften entstanden. Sie zeigten, "dass das Evangelium unentwegt seine schöpferische Kraft erweist". Dass diese neuen Gebilde vielfältig seien, habe weniger mit dem Evangelium zu tun als mit mit der Verschiedenheit der Menschen, ihr Leben zu deuten und zu gestalten. Manche suchten mehr die Ordnung, andere den sozialen Dienst, wieder andere die spirituelle Tiefe. Diese Vielfalt sei aber ein Reichtum der Kirche.
Resümee des Pastoraltheologen: "Ist das einmal gesagt, kann immer noch im Detail besprochen werden, ob es nicht auch Schattenseiten in manchen neuen Bewegungen gibt. Dann gelten manche als autoritär und fremdbestimmend, andere wiederum als gar fromm, und das an den bedrängenden Leiden der Welt vorbei. Aber: Welche Gemeinschaft hat keine Schwächen?"
Zulehner wünscht sich Papst-Telefonate
„Ganz toll fände ich es, würde Papst Franziskus zum Telefon greifen und Adolf Holl, Hans Küng und Eugen Drewermann anrufen und sie bitten, sich ihrem eigenen biographischen Traum entsprechend wieder mehr in die Kirche und ihre Entwicklung einzubringen“
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