Freitag, 16. Dezember 2016

Das Kreuz mit dem Kreuz auf dem Tempelberg

Nachwirkungen einer Israel-Reise
München - Nach der Pilgerreise evangelischer und katholischer Bischöfe ins Heilige Land räumt der evangelische Landesbischof ein, dass der Besuch auf dem Tempelberg und an der Klagemauer ein Fehler war.
Merkur.de >>


Bedford-Strohm bereut Tempelberg-Besuch
"Wahl zwischen zwei schlechten Alternativen"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sieht seinen umstrittenen Besuch auf dem Tempelberg und an der Klagemauer in Jerusalem im Nachhinein als Fehler.
Domradio.de >>


Kontroverse um das Kreuz
Ein Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg löst eine Debatte aus über das wichtigste christliche Symbol, Toleranz und die Kunst, Frieden zu stiften. Von Regina Einig

Alles begann mit einer ökumenischen Pilgerreise: Im Oktober wandelten Vertreter der katholischen Kirche und der evangelischen Glaubensgemeinschaft auf den Spuren Jesu durch das Heilige Land. Auf dem Tempelberg in Jerusalem, einem Territorium, für das die islamische Behörde Waqf zuständig ist, nahmen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm ihre Brustkreuze ab. Auch an der Klagemauer verzichteten sie auf das Kreuz. Bedford-Strohm begründete diese Entscheidung evangelisch.de zufolge damit, dass sie sowohl von muslimischen als auch von jüdischen Begleitern gebeten worden seien, das Kreuz nicht zu tragen, um nicht zu „provozieren“.

Eine Bitte, die dem Ratsvorsitzenden offensichtlich auch einleuchtete: Seine christliche Grundhaltung sei nicht, das Kreuz „demonstrativ vorneweg zu tragen“ und dadurch Zwietracht zu säen. Wörtlich zitiert evangelisch.de den Ratsvorsitzenden: „Ich habe als Repräsentant einer Religion die Aufgabe, friedensstiftend zu wirken. Wenn ich das nicht tue, werde ich meiner Verantwortung nicht gerecht.“

Nun debattieren christliche und nichtchristliche Kommentatoren in den Medien über Bekenntnis und Toleranz, Politik und die Grenzen der Religionsfreiheit. Der Vorfall auf dem Tempelberg ist nicht nur mit Blick auf den interreligiösen Dialog interessant, sondern auch ökumenisch bedeutsam. 2017 wollen beide Konfessionen als Christusfest feiern. Mit einer gemeinsamen „Christusbotschaft“ unterstrichen die Deutsche Bischofskonferenz und die EKD am Ende der Heilig-Land-Reise auch ihren guten Willen zum Bekenntnis. Dennoch scheiden sich an ihrer Reise die Geister. Wieviel Toleranz schulden die Religionen einander? Signalisierten die bischöflichen Besucher ihren muslimischen Gastgebern mit dem bereitwilligen Verzicht auf das zentrale Symbol ihres Glaubens Unterwerfung? Fielen sie in kurzsichtiger Anpassung den Christen im Nahen Osten in den Rücken, deren Bekenntnis zum Kreuz mitunter lebensgefährlich ist? Oder handelte es sich schlicht um eine Geste der Klugheit auf religionspolitisch sensiblem Gelände? Dem Tempelberg kommt aus christlicher Sicht zwar nicht die herausragende Bedeutung als Pilgerziel in Jerusalem zu wie etwa der Grabeskirche. Für Christen und Juden ist es dennoch ein besonderer Ort: Dort stand einst der Tempel Salomos. Ein kirchenpolitisch spiegelglattes Parkett.

Als einer der ersten meldete der Historiker Michael Wolffsohn Bedenken an der Entscheidung der beiden Würdenträger an. Landesbischof Bedford-Strohm habe sich unterworfen, während der Kardinal päpstlicher als der Papst gehandelt habe, kritisierte Wolfssohn in der „Bild“-Zeitung. Benedikt XVI. und Papst Franziskus hatten bei ihren Moscheebesuchen in der Türkei ihr Brustkreuz anbehalten. Das Verhalten des Kardinals und des Bischofs, so der Historiker, lasse „alarmierende Rückschlüsse auf ihr Verständnis von Toleranz zu“. Es schmerze ihn, erleben zu müssen, dass Christen ihr Christentum selbst und ohne Not aufgäben. Das von Kardinal Marx und Bischof Bedford-Strohm in Jerusalem gelebte Christentum sei auch keine gute Grundlage für die Integration von Muslimen in Deutschland. Wolffssohn befürchtet, dass das Beispiel der Bischöfe mit Blick auf die hiesige Integrationsdebatte Selbstaufgabe signalisiere. Bedenken meldet Wolffsohn auch mit Blick auf die Folgen des episkopalen Kreuzverzichts für andere an. Aus jüdischer Sicht stelle sich die Frage: „Wenn zumindest Teile der islamischen Welt selbst hochrangigen, christlichen Pilgern gegenüber immer aggressiver werden und deren Selbstaufgabe erwarten oder gar verlangen, was erwarten oder verlangen sie von Juden oder Israelis? Das kann sich jeder denken“.

Auch Jan Fleischhauer kritisiert den Verzicht auf das Kreuz im „Spiegel“ als merkwürdiges Verständnis von Toleranz und Gastrecht. „Wie soll man es anders nennen als eine Verleugnung des Glaubens, wenn zwei wichtige Repräsentanten des Christentums bei einer Pilgerreise aus Rücksicht auf die Reizbarkeit muslimischer Glaubensvertreter ihr Kreuz ablegen?“, fragt der Kolumnist und erinnert an die christlichen Märtyrer, die ihr Bekenntnis zum Kreuz mit dem Leben bezahlen. Die „Demutsgeste der Bischöfe“, so Fleischhauer, falle in eine Zeit, in der es für Christen in vielen Ländern der Erde wohl noch nie so gefährlich war, sich zu ihrem Glauben bekennen. Doch geht es Fleischhauer in seiner Kritik nicht allein um die Solidarität mit den Christen. In Wahrheit sei die Entscheidung der Bischöfe, ihr Kreuz abzulegen, eine politische Entscheidung. Wenn Bedford-Strohm von der „besonderen Situation in Jerusalem“ spreche, auf die es Rücksicht zu nehmen galt, „kann nur der Anspruch der Muslime gemeint sein, den Tempelberg zu einem Heiligtum zu erklären, auf dem andere nichts zu suchen haben, schon gar keine Juden“.

Ganz anders stuft Carsten Splitt, Pressesprecher der EKD, den Vorfall ein. Via Facebook äußerte er, ihn mache „die polemisch geführte Debatte ratlos, da die Situation an den Heiligtümern von tiefem gegenseitigem Respekt geprägt war“. Für Splitt handelte es sich bei dem Vorstoß „keinesfalls um ,Einknicken‘“. Angesichts der politisch angespannten Lage in Israel und des Umstandes, dass der bischöfliche Besuch zur Zeit des jüdischen Laubhüttenfestes stattfand, wertet Splitt die Entscheidung der Bischöfe als angemessen: „Die ökumenische Delegation hat damit ein Signal ausgesandt: Nur mit Respekt, Klugheit und Umsicht ist der Frieden zu erringen.“

Matthias Drobinski weist in der „Süddeutschen Zeitung“ auf die sehr angespannte Atmosphäre hin. Kurz vor dem Besuch der Delegation hätten israelische Polizisten ultraorthodoxe Jugendliche abführen müssen, die provoziert hatten. Und Kilian Martin geißelt in „katholisch.de“ den „Kleinglauben“, der sich so von bischöflichen Amtsinsignien abhängig mache. Das Brustkreuz sei aus katholischer Perspektive „der nach dem Bischofsring alltäglichste Ausweis der empfangenen Bischofsweihe“.

Auch Michael Doll vom Heilig-Land-Verein sieht in der bischöflichen Entscheidung keinen Abstrich am persönlichen Bekenntnis. Doll, einer der Teilnehmer der Pilgerreise, berichtete dem „domradio“, er habe den Moment mitbekommen. Das Kreuz sei „aus Respekt heraus“ abgelegt worde. „Das bedeutet aber keineswegs, dass man hier das Bekenntnis gescheut hat.“

Und Lucas Wiegelmann verteidigt die Bischöfe in der „Welt“: Die deutsche Delegation in Jerusalem habe vor der Frage gestanden, ob sie ihren Gang über den Tempelberg von der Bedingung abhängig mache, ihre Brustkreuze tragen zu dürfen oder auf die Begegnung zu verzichten. „Hätten sie sich für die erste Variante entschieden, hätte die Kirche in der Heiligen Stadt ihrer Entstehung vielleicht mehr Kreuz zeigen können. Aber bestimmt nicht mehr Christentum.“

Ein Kenner des Nahen Ostens, Monsignore Joachim Schroedel, der seit Jahrzehnten in Ägypten lebt, hält die Alternative Besuchsverzicht allerdings für akzeptabel. Das Verhältnis der Religionen sei heute wesentlich sensibler als noch vor Jahrzehnten, schreibt er in kath.net. Es gebe rote Linien, die ein Christ nicht überschreiten darf. Dazu gehöre für Bischöfe das klare Bekenntnis zum Gekreuzigten. „Im schlimmsten Fall“ so Monsignore Schroedel, bedanke man sich herzlich und gehe den Tempelberg wieder hinab, wenn man gebeten werde, das Kreuz abzulegen. Ihm stelle sich die Frage, warum die Bischöfe nicht ohnedies zu einer Stätte, die mit dem Christentum „nur indirekt zu tun hat“, ohne Ornat gekommen seien. Er selbst kenne Priester im Jerusalem, die im Anzug kämen. „Das ist dann auch gut so.“

Auch der evangelische Theologe Hermann Detering hätte es bevorzugt, wenn die Hirten „auf die Zumutung des Kreuzverzichts mit einem couragierten und souveränen Besuchsverzicht geantwortet hätten“. Der Verzicht auf das Tragen des Kreuzes habe wenig mit „Respekt“ oder freundlichem Entgegenkommen zu tun, „sondern ist schlicht ein Akt geistiger Unterwerfung“, unterstreicht er in dem Blog „Die Achse des Guten“.

Und die FAZ zitiert Elias Khoury, einen griechisch-orthodoxen Anwalt in Jerusalem: „Wir brauchen euch aus dem Westen, um auch hier das Kreuz zu tragen und zu bekennen. Christen, die es verbergen, gelten als Nichts und laden den Islam geradezu ein, das Vakuum zu füllen.“ Khoury sieht im Besuch der beiden Bischöfe keine Hilfe für die Christen vor Ort: „Die kamen vor allem für sich selbst.“
Quelle: Die Tagespost >>

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