Von Christa Nickels in Deutschlandradio-Kultur:
Reformstau, starre Hierarchien, selbstbezogene Eliten: Nicht Veränderung, sondern die Angst davor scheint das Leitmotiv bei den Verantwortlichen in der katholischen Kirche zu sein. Das muss sich dringend ändern, fordert die Grünen-Politikerin Christa Nickels.
Der zweite große Skandal in nur drei Jahren, erneut ausgelöst von den eigenen Oberhirten, überrollt die katholische Kirche in Deutschland. Erinnern wir uns: 2010 – ausgerechnet im von Rom ausgerufenen Jahr des Priesters – platzte mit Wucht die Nachricht in die Gesellschaft, dass sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen Jahrzehnte lang durch kirchenleitende Hirten vertuscht worden war. Erst der Mut des Jesuitenpaters Klaus Mertes brachte die katholische Kirche in Zugzwang, ihre verdrängten Abgründe auszuloten.
Nun - im Herbst 2013 - der nächste Tiefschlag: Der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst verheddert sich im Gestrüpp von Eitelkeit, Ausflüchten und Selbstherrlichkeit. Auch dieses Mal musste die katholische Kirchenleitung erst zu Einsicht und Handlungsbereitschaft gezwungen werden – durch unverdrossen aufklärende Journalisten und eine breite öffentliche Empörung.
Die Hirten sollten wieder den Geruch ihrer Schafe annehmen, mahnt Papst Franziskus. Aber das Bild von den Gläubigen als Schafen und den Bischöfen als deren Hirten ist überholt und seit langem diskreditiert, und zwar durch die Hirten selbst.
Die dummen Kirchenschafe
Die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils und der darauf folgenden Synoden sind bis heute nicht umgesetzt. Aufbruch und Öffnung jener Jahre wurde unterminiert, Bischofsstühle mit Persönlichkeiten besetzt, denen Linientreue heiliger zu sein hatte als der Respekt vor den Anliegen der Gläubigen. Nicht Veränderung, sondern die Angst davor scheint das Leitmotiv des Handelns zu sein.
Die bischöflichen Hirten verwechseln Macht, Herrschaft und Dogmen mit der frohen Botschaft Jesu. Sie bezichtigen engagierte Christen - ihre "Schafe", den Glauben zu verdunkeln. Proteste, Initiativen, Memoranden prallen an einem strikt hierarchischen Kirchenrecht, an der Selbstbezogenheit männlicher Leitungseliten ab. Die Herde der Gläubigen wird vergattert - als dumme Kirchenschafe.
Damit muss Schluss sein. Die Institution Kirche muss Alltagswissen, Glaubenserfahrung, ja Kompetenz aller ihrer Mitglieder endlich wirksam einbeziehen. Erste Schritte, die schon lange gefordert werden, wären, die gesamten Vermögens- und Finanzverhältnisse offenzulegen, verbindliche Mitbestimmungsrechte der gewählten Laiengremien in Finanz-, Personal- und Pastoralfragen anzuerkennen und Frauen gleichberechtigt auf allen Ebenen in das kirchliche Handeln einzubeziehen.
Selbstgerechter Rückzug auf den sogenannten "heiligen Rest"
Auch wenn katholische und evangelische Kirchenleitung theologisch in der Ökumene nicht vorankommen, ist es an der Zeit, dass sie sich wenigstens politisch gemeinsam Gedanken zu machen, wie sich die Kirchen künftig finanzieren könnten. Sie sollten sich nicht länger von einer Kirchensteuer abhängig machen, die der Staat für sie einzieht. Es ist auch an der Zeit, die Initiative für ein modernes kirchliches Arbeitsrecht zu ergreifen, bevor Gerichte und Parlamente es erzwingen.
Die christlichen Kirchen in Europa sind durch das Feuer von Reformation, Religionskriegen und Aufklärung gegangen und bekennen sich heute zu Glaubens- und Gewissensfreiheit und allgemeinen Menschenrechten. Die weltweit bewunderte europäische Kultur wäre ohne ihren Beitrag nicht denkbar. Die sozial und karitativ engagierte Zivilgesellschaft verdankt sich maßgeblich ihrem Engagement und Einsatz.
Lähmung, Stagnation, Resignation und selbstgerechter Rückzug auf den sogenannten "heiligen Rest" der angeblich Rechtgläubigen bedrohen nicht nur die Einheit der Kirche. Sie bringen das Leuchtfeuer eines aufgeklärten und menschenfreundlichen Gottesglaubens zum Erlöschen.
Sollte sich Kirche als reformunfähig erweisen, riskierte sie nicht nur ihre eigene Existenz, sondern überließe das religiöse Feld Sektierern und Fundamentalisten. Ein Grundpfeiler des "christlichen Abendlandes" würde zerstört.
Christa Nickels, Jahrgang 1952, von Beruf Krankenschwester, gehörte 1979 zu den Gründern der "Grünen" in Nordrhein-Westfalen, war deren Bundestagsabgeordnete (bis 2005), Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium (1998-2001) und Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Daneben saß sie als Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (2000-2013) und ist seit 2013 Mitherausgeberin von "Publik Forum".
Quelle: Deutschlandradio
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