Samstag, 7. Januar 2012

Bischof Bode: Kirche und Bistum in der Spur des Zweiten Vatikanischen Konzils

Silvesterpredigt 2011 von Bischof Dr. Franz-Josef Bode, Osnabrück

„Ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein“ (vgl. Jer 31,33)
– Kirche und Bistum in der Spur des Zweiten Vatikanischen Konzils –

11. Oktober 1962. Einige hundert Schüler des Gymnasiums Theodorianum in Paderborn sind in der Aula um einen kleinen schwarz-weißen Bildschirm versammelt. Ihnen soll ein kirchen- und weltgeschichtliches Ereignis nicht entgehen, das ein „erneuertes Pfingsten“ genannt wurde: die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom. – Wir hatten für dieses Ereignis unterrichtsfrei. Ich war gerade zehn Jahre alt.

Unendlich lang erschien uns die Reihe der fast 2500 Bischöfe, die in Sankt Peter einzog. Für uns war das alles schwer verständlich, aber wir hatten das deutliche Gefühl, dass dort etwas Hochbedeutsames geschah. Die warme, bäuerliche Stimme Johannes XXIII., seine Worte und sein Segen waren Höhepunkte. Schon damals spürten wir, dass eine neue Atmosphäre in die Kirche einzog: Allen bloß negativen Verurteilen wurde eine Absage erteilt. Stattdessen solle die „Medizin der Barmherzigkeit“ angewandt werden. Johannes XXIII. unterzeichnete das Glaubensbekenntnis nicht mit seinen vielen Titulaturen, sondern mit „Johannes, Bischof der katholischen Kirche“, dem Amt also, das ihn mit all seinen Brüdern in der Welt verband.
In der Schule legten wir ein Heft an, in das wichtige Bilder und Texte des Konzils eingeklebt wurden. Als Ministranten erlebten wir bald, dass sich Enormes tat in der Liturgie der heiligen Messe. Denn die tägliche, oft in schwarzer Kleidung für die Verstorbenen gefeierte Alltagsliturgie war bis dahin ein heiliges Schauspiel. Wir wirkten daran mit, minutiös eingeübt, sogar in lateinischer Sprache, das Volk weit hinter uns. Nun die befreiende Wende zur Muttersprache, zu einem gemeinsamen Geschehen in der Kirche, an dem nunmehr alle teilnehmen konnten in klarer Struktur und in der Einheit von Wort und Sakrament.
Und dann die Jahre des Konzils selbst mit einem neuen Papst, Paul VI., der sich ganz auf den Geist des Anfangs einließ und sich wie kaum ein Papst vor ihm der Herausforderung der Moderne stellte. Der aber auch darunter litt, wie sehr der Bruch zwischen Kirche und Kultur vorangeschritten war. Seine bis heute prophetische Schrift „Evangelii nuntiandi“ von 1975 (zehn Jahre nach dem Konzil) über die Evangelisierung in der Welt von heute ist immer noch von höchster Aktualität. Auch darum ist es, nebenbei gesagt, völlig unangemessen, Papst Paul VI. nur auf einige Aspekte seiner Enzyklika „Humanae vitae“ von 1968 über die Weitergabe menschlichen Lebens zu reduzieren.
Das Konzil und seine Aussagen wurden in den Folgejahren zum großen Impuls vieler positiver Erneuerungen und Öffnungen der Kirche, freilich auch zum Stein des Anstoßes, zum Ereignis, an dem die Geister sich schieden und zu verschiedenen Interpretationen gelangten. Man denke nur an die reformorientierte Anwendung des Konzils in der Würzburger Synode oder den traditionalistischen Weg, den Bischof Lefebvre und seine Anhänger gingen. Einer, der das Konzil im Alter von gerade mal 35 Jahren als Professor und Berater des Kölner Kardinals Frings mitprägte, war Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI. Er wird der letzte Papst sein, der das Konzil selbst miterlebt hat.

Der junge Professor war angetan von der ganz neuen Gesprächsatmosphäre. Im Rückblick auf die erste Sitzungsperiode schrieb er 1963: „Das Klima des Konzils war von vornherein durch die grosszügige Haltung Johannes XXIII. geprägt, der sich darin merklich von dem Konzilspapst des Ersten Vaticanums unterschied. Ohne viele Worte drückte die Persönlichkeit des Papstes eine Ermutigung zur Offenheit und zum Freimut aus. Es wird noch eingehend darüber zu reden sein, dass … ein neues Bewusstsein sich ausprägt, wie man in der Kirche in brüderlicher Offenheit, ohne den Gehorsam des Glaubens zu verletzen, miteinander sprechen kann“ (Joseph Ratzinger, Die erste Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ein Rückblick, Köln 1963, S. 19 f.).
Bezeichnend für dieses neue Klima und die neue Offenheit sind die Ausführungen, die Ratzinger in seinem Rückblick zu den zentralen Konzilsthemen Pastoral und Ökumene macht: „,Pastoralʻ – das sollte nicht heißen: verschwommen, substanzlos, bloß erbaulich, wie es da und dort missverstanden wurde. Sondern es sollte heißen: in der positiven Sorge um den heutigen Menschen formuliert, dem mit Verurteilungen nicht geholfen ist, der lange genug gehört hat, was alles falsch ist und was alles er nicht darf, der aber endlich hören will und viel zu wenig gehört hat, was wahr ist, mit welcher positiven Botschaft der Glaube unserer Zeit gegenübertreten kann, was er positiv ihr zu lehren und zu sagen hat. ,Pastoralʻ sollte nicht heißen: verwaschen und unpräzis, sondern es sollte heißen: frei von (theologischem) Schulgezänk, ohne Einmischung in Fragen, die nur die Gelehrten angehen, ohne weitere Beschneidung der Diskussionsmöglichkeit unter ihnen in einem Zeitpunkt, in dem alles voller neuer Aufgaben ist und eine offene Auseinandersetzung von ihnen verlangt. ,Pastoralʻ sollte endlich heißen: ohne die Sprache der (theologischen) Schule …, in der Sprache der Schrift, der (Kirchen-)Väter, des Menschen von heute – einfach in der lebendigen Sprache des allzeit einen Menschen.
Und ,ökumenischʻ sollte nicht heißen: Verschweigen von Wahrheiten, um die anderen nicht zu verstimmen. Was wahr ist, muss offen gesagt werden, ohne Verbergen; die volle Wahrheit ist ein Teil der vollen Liebe. ,Ökumenischʻ sollte vielmehr heißen: dass man aufhört, die anderen bloß als Gegner zu sehen, gegen die man sich verteidigt (nachdem wiederum die Abgrenzung lange und gründlich genug geschehen ist); dass man versucht, sie als Brüder zu erkennen, mit denen man spricht und von denen es auch zu lernen gibt. ,Ökumenischʻ sollte heißen: dass man auf die Wahrheit achtet, die der andere hat, auf die ernsthaften christlichen Anliegen, die er selbst da vertreten kann, wo er von uns getrennt ist oder irrt. Und ,ökumenischʻ sollte heißen: das Ganze einbeziehend; nicht bloß jenen Teilaspekt sagen, der im Augenblick nach einer Verurteilung oder Korrektur ruft, sondern die innere Ganzheit des Glaubens hinstellen und so dem getrennten Bruder bewusst machen, dass alles wahrhaft Christliche im Katholischen eingeborgen ist. Man sollte wieder mehr bedenken, dass die beiden Wörter ,ökumenischʻ und ,katholischʻ von ihrem Ursprung her dasselbe sagen, dass Katholischsein also bedeutet, sich nicht in Sondertraditionen zu verspinnen, sondern der ganzen Fülle des Christlichen offenstehen“ (Joseph Ratzinger, die erste Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ein Rückblick, Köln 1963, S. 45-47).

Soweit der Rückblick des Professors Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1963. Die Wahl Angelo Giuseppe Roncallis 1959 zum Papst Johannes XXIII. war schon ein kleines Wunder gewesen. Erst recht die von diesem vermeintlichen „Übergangspapst“ völlig unerwartete Einberufung des Konzils. Die neue Arbeitsweise der Versammlung schließlich war bahnbrechend, weil sie die schon fast fertigen Arbeits- und Beschlussvorlagen vollkommen überholte.
In den vier Jahren des Konzils bis zum 8. Dezember 1965 wurden hoch bedeutsame Aussagen errungen über die Kirche, über ihr grundsätzliches Selbstverständnis, ihr inneres Leben und ihre Sendung nach außen; über den Dialog mit den anderen christlichen Konfessionen, mit den Nichtchristen, mit der „Welt von heute“ und über die Religionsfreiheit, also über die weltanschauliche Pluralität, in der die Kirche lebt und wirkt. Hier nur einige wenige Auszüge:
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände“ (GS 1).
„Zur Erfüllung … ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen“ (GS 4).
„Das Volk Gottes bemüht sich, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind. Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht …“ (GS 11).
„Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1).
„Das aber verlangt von uns, dass wir vor allem in der Kirche selbst, bei Anerkennung aller rechtmäßigen Verschiedenheit, gegenseitige Hochachtung, Ehrfurcht und Eintracht pflegen, um ein immer fruchtbareres Gespräch zwischen allen in Gang zu bringen, die das eine Volk Gottes bilden, Geistliche und Laien. Stärker ist, was die Gläubigen eint als was sie trennt. Es gelte im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe“ (GS 92).
Ich muss so breit ausholen, weil das Konzil für die heutige Generation längst Geschichte ist, für die Jugendlichen gefühlt fast so weit entfernt wie die Reformation. Dabei geht es mir nicht darum, wie ein Historiker oder Archäologe nur die Texte wieder zu ergraben – so wichtig und spannend es ist, sie sich vorzunehmen. Nein, es geht darum, in unserer Zeit, in unserer Welt und in unserer hoch krisenhaften Situation die Absichten und Impulse des Konzils neu zu lesen und aus heutiger Erfahrung – 50 Jahre später – in einen Dialog mit ihnen einzutreten. Es geht um einen neuen aggiornamento – diese große Vision Johannes XXIII. für die Kirche –, es geht um ein neues „auf den Tag bringen“. Das wunderbare Wort von Gregor dem Großen aus dem sechsten Jahrhundert über die Bibellektüre „Divina eloquia cum legente crescunt“, Gottes Worte wachsen mit dem Lesenden (in Ezechiel, I, VII, 8: PL 76, 843) gilt auch für die feierlichen Aussagen der Kirche in einem Konzil.

Ich spreche auch deshalb so breit über das damalige Ereignis, weil dieses Konzil ein wirkliches Geschenk an die Kirche war, unerwartet und unberechenbar, wirklich aus der „Improvisation des Geistes“, wie der Theologe Karl Rahner einmal die Kirche genannt hat (Karl Rahner, Angst vor dem Geist, in: Karl Rahner, Chancen des Glaubens, Anm. 22, S. 53f. 57). Von diesem Geschenk leben wir bist heute: in der Ökumene, im Verhältnis zum Judentum, zum Islam und den anderen Religionen, in der Liturgie, in der Auffassung von Kirche, die nie nur sich selbst leben darf, sondern immer für alle in der Welt von heute. Wir leben von all den Diensten und gemeinschaftlichen Strukturen, die sich gebildet haben: die Dienste des Diakons, der Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten, der Lektoren, Kommunionhelfer und Katecheten; die Gremien der Pfarrgemeinderäte, Dekanatsarbeitsgemeinschaften, der diözesanen Räte und gemeinsamen Konferenzen. Diese Dienste und Strukturen können wir uns gar nicht mehr wegdenken, selbst wenn sie nach den Jahrzehnten neu vom Geist des Konzils, ja vom Geist der Hoffnung und des Mutes durchdrungen werden müssen. Der heilige Geist ist ja immer noch wach in der Kirche (vgl. Siegfried Hübner, Aufbruch im Glauben mit Papst Johannes XXIII., Wiesmoor 2010, S. 10).
Die schmerzlichen Abbrüche und die damit verbundenen Veränderungen, die wir bis in die jüngsten Krisen in der Kirche erfahren, sind trotz des großen Aufbruchs in den 60er Jahren im Konzil geschehen und nicht wegen dieses Aufbruchs. Die gesellschaftliche Entwicklung nach den beiden Weltkriegen und der Fortschritt der Welt haben zu einer tiefgreifenden und in vielerlei Hinsicht fragwürdigen Wandlung des gesamten Lebens geführt. Für die Kirche muss die Antwort heute eine noch tiefere und entschlossenere Aneignung der prophetischen Aussagen des Konzils sein, statt Angst vor der eigenen Courage zu bekommen.
Und eine solche neue Aneignung der Prophetie und der Hoffnung des Konzils muss gerade in dem vor uns liegenden Jahr bereitet werden. Im Juli hat in Mannheim der Auftakt des Dialogprozesses unter dem Leitwort „Im Heute glauben“ stattgefunden. Das wichtige Treffen hat uns deutlich gemacht, worauf es in den nächsten Monaten und Jahren ankommt:
• auf die Kommunikation des Lebens und des Glaubens. Dazu gehört unser Katechetischer Prozess, der doch nichts anderes will, als den Glauben für alle Generationen heute und morgen einladend zu machen. Dazu gehört aber auch die mutige Einmischung der Kirche in die Gesellschaft in den Grundfragen des Lebens, der Politik und der Kultur.
• Es kommt an auf eine Kultur der Barmherzigkeit (Compassion), die den Menschen – auch denen, die sich schwertun – frische Luft zum Atmen gibt in der Kirche. Barmherzigkeit der Kirche aus einem „Herzen aus Fleisch“, aus einem „hörenden Herzen“, statt Unerbittlichkeit aus einem „Herzen aus Stein“ (vgl. Ez 11,19; 1 Kön 3,9). Das große Stichwort im Dialogprozess in Deutschland ist in diesem Jahr deshalb diaconia – Dienst am Menschen um Gottes willen, den Menschen zugewandt, weil Gott sich uns zuwendet, auch heute.
• Und es kommt an auf Partizipation, Teilnahme und Teilgabe, das Miteinander der Dienste und Charismen in der Kirche, in den großen pastoralen Räumen bunter und vielfältiger als früher. Die Aussagen des Konzils über das pilgernde Volk Gottes unterwegs in communio, als Leib Christi, und über das gemeinsame Priestertum aller Getauften und Gefirmten müssen jetzt praktisch werden. „Denn durch die Taufe dem mystischen Leib Christi eingegliedert und durch die Firmung mit der Kraft des Heiligen Geistes gestärkt, werden sie (die Laien) … zu einer königlichen Priesterschaft und zu einem heiligen Volk (vgl. 1 Petr 2,4-10) geweiht …“, so das Konzil (AA 3). Wir brauchen nichts nötiger als Getaufte, Gefirmte, Beauftragte, Gesendete und Geweihte, die überzeugt und überzeugend aus ihrer jeweiligen Berufung heraus leben. Und wir brauchen auch bei noch mehr Entscheidungsträgern der Kirche den Mut, neu an die Aufbrüche des Konzils anzuknüpfen und denen deutlich zu widerstehen, die das Rad rückwaÅNrts drehen wollen. Wir müssen „einen neuen Aufbruch wagen“. (Das ist ja auch das Leitwort des Katholikentags in Mannheim im kommenden Jahr.)
Dabei dürfen wir aber – und das ist mir ein großes Anliegen – auf keinen Fall zu binnenkirchlich denken. Wir müssen immer auch die rund 80 Prozent der katholischen Christen im Blick haben, die nicht so eng mit ihrer Kirche verbunden sind über Gottesdienst und Engagement, die in der Distanz bleiben, scheu, gleichgültig oder enttäuscht. Wir sind Kirche nicht nur mit uns und für uns, sondern mit den vielen und für alle. Neuevangelisierung ist das Gebot der Stunde. Der Dialog mit den ,anderenʻ – den Nicht-Katholiken, den Nicht-Christen – und mit allen Menschen gutem Willens, ja auch mit denen, die uns ablehnend gegenüberstehen, ist heute für alle Beteiligten über-lebens-notwendig.
Weiter denke ich bei einem neuen Aufbruch an eine möglichst lebensnahe Katechese für alle Generationen; ich denke an den Umgang der Kirche mit wiederverheiratet Geschiedenen und mit Paaren in konfessionsverschiedenen Ehen; ich denke an ein vertieftes Zusammenwirken von Männern und Frauen in den Diensten des Gottesvolkes; ich denke an den Beitrag der Kirche zu einer positiven Sexualkultur, zu verlässlichen Beziehungen und echter Partnerschaft in der Vorbereitung auf das Ehesakrament; und konkret denke ich für unser Bistum an ein weiteres großes Pastorales Zukunftsgespräch im Jubiläumsjahr 2015, da das Konzil vor 50 Jahren beendet wurde.
2012 wird ein wichtiges Jahr der Zurüstung für unsere Kirche in der Weltweite, in Deutschland, in unserem Bistum. Die Weltbischofssynode, an der ich im Oktober drei Wochen in Rom teilnehmen darf, befasst sich mit der Neuevangelisierung, mit der Kommunikation des Glaubens mit den Menschen von heute. Nicht von ungefähr hat der Papst ein „Jahr des Glaubens“ ausgerufen, das am 50. Jahrestag der Konzilseröffnung, also am 11. Oktober 2012, beginnt. In den Tagen werden wir auch die Erfahrungen unseres Katechetischen Prozesses bündeln in einer Versammlung der diözesanen Räte am 28./29. September 2012.
Das alles dient dem Ziel, das Schwungrad des Zweiten Vatikanischen Konzils wieder in Gang zu setzen in einer global, regional und privat grundlegend veränderten Situation. Ja, wir stehen wieder neu am Anfang, da so vieles abgebrochen und zerbrochen ist. An einem neuen Anfang, der niemals gegen das Konzil gerichtet sein kann, sondern nur mit dem Konzil und seiner innersten prophetischen Wahrheit gelingen wird.
Vier Tage nach Beendigung des Konzils, am 12. Dezember 1965, hielt Karl Rahner – er war neben Joseph Ratzinger und Hans Küng einer der großen deutschen Konzilsberater – einen Vortrag. Daraus möchte ich abschließend eine längere Passage zitieren, weil sie so großartig und ermutigend ist:
„Im ganzen ist (jedenfalls) zu sagen: Es wäre ein furchtbarer Irrtum und eine schreckliche Verblendung der Herzen, ist aber eine reale Gefahr, vor der auch die unzerstörbare Kirche nicht von vornherein sich bewahrt glauben darf, wollte man meinen, man könne im Grunde nach dem Konzil einfach so weitermachen wie bisher, weil das, was in ihm gesagt, beschlossen und gelehrt wurde, entweder schon immer selbstverständlich in Übung gewesen sei oder nur unwichtige Dinge am Rande beträfe oder eben fromme Ideale beinhalte, die man sich zur eigenen Selbstrechtfertigung erbaulicherweise sagt und im übrigen auf dem geduldigen Papier stehenlässt. Natürlich muss die Kirche ihrem Wesen und – richtig verstanden – selbst ihrer Vergangenheit treu bleiben. (…) Aber das alles ändert nichts an der heilig-schrecklichen Verantwortung, die wir alle, die wir die Kirche sind, uns aufgeladen haben durch dieses Konzil: zu tun, was wir gesagt haben, die zu werden, die zu sein wir erkannt und vor aller Welt bekannt haben, aus Worten Taten zu machen, aus Gesetzen Geist, aus liturgischen Formen wahres Gebet, aus Ideen Wirklichkeit. Dafür konnte das Konzil nicht mehr als den Anfang des Anfanges setzen. Das ist unsagbar viel. Es würde aber ein hartes Gericht für Hirten und Herde, für uns alle bedeuten, wenn wir Wort und Tat, Anfang und Vollendung verwechseln wollten. Wir sind auf dem Konzil wie einst Elias durch eine weite Wüste gewandert und dem heiligen Berg Gottes nähergekommen. Wenn wir uns jetzt darum müde, schläfrig und verdrossen unter dem Ginsterbusch eines konziliaren Triumphalismus ausruhen würden, dann wird, dann möge, ja dann muss uns der Engel Gottes durch die schrecklichen Gefahren und Qualen dieser Zeit, durch Verfolgung, Abfall und Schmerzen des Herzens und des Geistes aus unserem Schlaf aufwecken: mach dich auf, ein großer Weg steht dir noch bevor (vgl. 3 Könige 19,7).
(…)
Wenn des Bischofs Regierung Dienst ist, demütig, demütiger als bisher, wenn der Priester lauterer und selbstloser, ob mit oder ohne Erfolg, das Wort Gottes und die Gnade der Sakramente darreicht, wenn der Laie weniger tadelt und eifriger mitarbeitet, wenn alle das Kreuz ihres Daseins in der Nachfolge Christi geduldiger tragen, in den Finsternissen mit helleren Augen des Glaubens das Licht Gottes sehen, jeder sich ehrlicher als Sünder erkennt und doch der Gnade Gottes getrost ist, wenn jeder anfängt, Gott mehr zu lieben, wenn jeder sich täglich mehr bemüht, der egoistischen Härte seines Herzens ein wenig mehr tätige Nächstenliebe abzuringen, wenn es Christen gibt, die nicht auch bei brutalem, brüllendem Geschrei oder bei dem feigen Geflüster nationalistischen oder gruppengesellschaftlichen Egoismus' dabei sind, wenn ein paar christliche Männer und Frauen im öffentlichen Leben deutlicher fragen und klarer das sagen, was recht ist, und nicht, was ihnen nützt, dann hat das Konzil seinen wirklichen Sinn, den letztlich einzigen, erreicht.
(…)
Es liegt aber an uns, an jedem von uns, an jedem in der Alltäglichkeit des Lebens und in der letzten einsamen Entscheidung des Gewissens, diesen Sinn des Konzils aus Gottes Gnade allein in der königlichen Freiheit der Kinder Gottes zu tun. Gott gebe uns dazu seine Gnade.“ (Karl Rahner, Das Konzil – Ein neuer Beginn. Vortrag beim Festakt zum Abschluss des II. Vatikanischen Konzils im Herkulessaal der Residenz in München am 12. Dezember 1965, Freiburg 1966, S. 18-26)

Gott gebe uns seine Gnade, besonders in diesem Jahr 2012, und seinen Segen: Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.

Quelle: Bistum Osnabrück

1 Kommentar:

Volker Schnitzler hat gesagt…

Eine starke Predigt von Bischof Bode, solche Worte wünscht man sich auch von anderen Bischöfen!