Der Obmann der Pfarrerinitiative und Uni-Seelsorger sieht die Zeit reif für Reformen
STANDARD: Papst Franziskus lädt ab kommendem Sonntag zur ersten Bischofssynode in seinem Pontifikat. Ehe, Familie, Sex – thematisch betrachtet, ist es wohl eine der spannendsten Synoden der letzten Jahrzehnte. Was erwarten Sie sich?
Schüller: Mindestens erwarte ich mir eine Öffnung der ganzen Themen und Fragen. Bisher war ja die Diskussion darüber in der Kirche blockiert. Da hat man stets auf unverrückbare Lehramtsposition verwiesen. Eine neue Offenheit wäre das große Ziel dieser Bischofssynode.
STANDARD: Es hat in den letzten 50 Jahren keiner gewagt, den Staub von
den moralischen Grundwerten zu wischen. Warum sollte man jetzt plötzlich in aller Offenheit darüber sprechen?
Schüller: Weil die Zeit reif ist – und Papst Franziskus die Basis für diesen wichtigen Diskurs geschaffen hat. Es ist ja schon ein Riesenschritt vorwärts getan, wenn derzeit Kardinäle öffentlich die Rolle von wiederverheirateten Geschiedenen debattieren. So etwas hat es bisher nicht gegeben. Und sobald die Diskussion eröffnet ist, entsteht eine Eigendynamik. Und die lässt sich auch nicht mehr von einer Seite kontrollieren. Daher erwarte ich mir auch konkrete Veränderungen.
STANDARD: Welche konkret?
Schüller: Die Kirche muss vor allem Wege finden zum Kommunionsempfang für (noch) nicht kirchlich verheiratete Partner, geschiedene Wiederverheiratete und homosexuelle Paare. Es geht darum, die heutige Lebenswirklichkeit aller Ehepaare, Familien und Menschen in Beziehung anzuerkennen. Das sollte der Ausgangspunkt aller synodalen Beratungen sein. Der persönlichen Gewissensentscheidung muss ihr rechtmäßiger Platz in der Kirche zurückgegeben werden.
STANDARD: Kardinal Christoph Schönborn ist da deutlich pessimistischer und hat die Erwartungen gedämpft. Man dürfe nicht erwarten, "dass der Papst die Lehre über die Ehe ändert".
Schüller: Diese Haltung ist doch ganz typisch für die österreichischen Bischöfe: sich nur ja nicht aus der Deckung herauswagen. Das ist eine taktische, strategische Bemerkung – aber keine inhaltliche.
STANDARD: Wurden mit der weltweiten Befragung der Basis als Grundlage für die bevorstehende Synode nicht zu hohe Erwartungen geweckt?
Schüller: Die Basis in den Pfarrgemeinden ist ja nicht mehr nur in Erwartungshaltung. Da werden bereits viele Schritte in Richtung einer modernen Kirche gegangen. Aktuelles Beispiel war etwa der "Gottesdienst am Rand" in der Steiermark speziell für Homosexuelle und Wiederverheiratete.
STANDARD: Die Tage von "Roma locuta, causa finita" sind also gezählt?
Schüller: Der Tenor ist klar: Mit Rom, wenn Rom mit uns gehen will. Aber auch alleine, wenn der Vatikan nicht mitzieht. Rom hat die Wahl. Es ginge sich jetzt gerade noch aus, dass die Kirchen leitung mitgeht. Wenn nicht, wird man in Rom zuschauen müssen, wie die Basis den Weg alleine geht. Wenn sich die Kardinäle nicht bewegen, bewegen sie sich immer weiter weg vom Kirchenvolk. Der römische Zentralismus funktioniert nicht mehr.
STANDARD: Warum tut sich die Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen überhaupt so schwer?
Schüller: Man hat das Thema theologisch viel zu hoch gehängt. Jegliche Veränderung wird wie ein Einsturz des gesamten Lehrgebäudes gesehen. Man muss das Ehesakrament zu dem machen, was es früher einmal war: ein Sakrament mit einer Offenheit für Scheidung, Heil und Barmherzigkeit.
STANDARD: Rund um die Pfarrerinitiative ist es auffallend ruhig geworden – sind Sie plötzlich doch gehorsam?
Schüller: Nein, wir haben nichts an unseren Positionen geändert. Aber es hat sich natürlich die Situation verändert: Alle schauen auf den Papst, der plötzlich auch Dinge anspricht, die früher nur Reformbewegungen artikuliert haben. Es gibt weniger Interesse an uns. Wir arbeiten aber wacker weiter.
Quelle: Der Standard
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