Nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals vor fünf Jahren hat der Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller strukturelle Veränderungen in der katholischen Kirche gefordert. Eine erste Bilanz.
Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) zieht der Leiter des Münsterschwarzacher Recollectio-Hauses für kirchliche Mitarbeiter in Lebenskrisen Bilanz.
KNA: Herr Müller, fünf Jahre sind seit dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals vergangen. Was hat sich getan?
Müller: Die Bischöfe sind wachsamer geworden. Die Überarbeitung der Leitlinien hat viel gebracht. Mittlerweile werden auch alle kirchlichen Mitarbeiter in Prävention geschult und sensibilisiert.
Externe sind oft die Ansprechpartner für Opfer. Und es ist jetzt klar, dass Jugendliche nicht mehr im Pfarrhaus schlafen oder der Pfarrer mit ihnen duscht. Verglichen mit dem, was vor 15 Jahren war, ist das sehr viel. Da konnte noch jede einzelne Diözese entscheiden, wie sie im Falle von sexuellem Missbrauch vorgeht.
KNA: Ihre Forderung war stets, die Kirche müsse Sexualität aus der Dunkelkammer holen. Gibt es schon Licht?
Müller: Sexualität wird in der Kirche oft noch tabuisiert. Doch dahinter steht nicht der lüsterne Satan, sondern die Schöpferkraft Gottes - ohne die Schattenseiten zu vergessen. Wir müssen in der katholischen Kirche mehr zur Kenntnis nehmen, dass der Mensch einfach ein Bedürfnis nach sexueller Lusterfahrung hat.
Er muss dazu befähigt werden, erwachsen damit umzugehen. Einer der Gründe, warum es zu Missbrauch kam, ist auch, weil es für manche Priester ihre Form war, Sexualität zu erfahren - unabhängig davon, dass es auch etwas mit Macht zu tun hat.
KNA: Und diese Macht ist auch ein Problem?
Müller: Ebenso wie das Verlangen nach Lust gibt es eines nach Macht. Das müssen wir uns genau anschauen, um Missbrauch zu erkennen. Indem die Kirche neben der Sexualität auch Macht tabuisiert, weil wir ja alle vom Ideal her demütig sein müssen, übersehen wir den Ehrgeiz in der Kirche. Natürlich wird aber auch in der Kirche Macht ausgeübt, die aber, wenn sie nicht kontrolliert wird, Gefahr läuft missbraucht zu werden.
KNA: Weiter forderten Sie, Tabuthemen wie Homosexualität und Zölibat auf die Tagesordnung zu setzen. Sind sie da schon?
Müller: Wichtig halte ich die Worte von Papst Franziskus auf dem Rückweg vom Weltjugendtag in Brasilien. Damals sagte er, wir müssen jemanden, der homosexuell ist, so anschauen, wie wenn Jesus ihn anschauen würde. Das ist aus kirchlicher Sicht nichts Neues. Aber dass ein Papst das so offen ausspricht, hat sicherlich die Einstellung zu homosexuellen Menschen verändert. Das ist aber nicht genug.
KNA: Warum?
Müller: Die katholische Kirche muss zur Kenntnis nehmen, dass ein Großteil derjenigen Priester, die Minderjährige sexuell missbraucht haben, sich Jungen zwischen 14 und 18 Jahren als Opfer suchten. Bei vielen Tätern handelte es sich um homosexuelle Männer, die sich nicht mit ihrer Homosexualität auseinandergesetzt haben. Um das zu korrigieren, muss die Kirche klar Ja sagen zu ihren homosexuellen Priestern, damit sie sich nicht länger verstecken müssen. Die Instruktion aus dem Jahr 2005, die die Weihen homosexueller Männer verbietet, muss überarbeitet werden, wenn man verhindern will, dass die Homosexualität von den Priesteramtskandidaten verdrängt wird. Hier muss Papst Franziskus aus seinen Worten Konsequenzen ziehen.
KNA: Stichwort Zölibat?
Müller: Um auf eine gesunde Weise zölibatär leben zu können, muss ich als Priester eingebunden sein in tiefe, bedeutungsvolle menschliche Beziehungen. Es gibt Priester, die das Charisma haben, zölibatär zu leben. Das sollte auch in Zukunft gewürdigt werden. Sehr viele Priester tun sich aber schwer, auf eine Partnerschaft, in der sie auch ihre Sexualität leben dürfen, zu verzichten. Man sollte es den Priestern daher freistellen, ob sie zölibatär oder in einer Partnerschaft leben wollen.
KNA: 2011 sprachen Sie im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal vom «Gift des Klerikalismus». Haben Sie in Franziskus jetzt einen Verbündeten?
Müller: Unbedingt! Ich habe eine ganz große Sympathie gegenüber dem Papst. Es gibt in den äußeren Gesten Veränderungen; auch in den Worten, die sich gegen ein Oben und ein Unten richten...
KNA: ... es geht also voran?
Müller: Ja und nein. Die klerikale Struktur ist zäh. Bei der Mitwirkung von Frauen zu den Weihen fühlt sich Franziskus an die Worte seiner Vorgänger gebunden. Doch ein Papst könnte auch eine Tür wieder aufmachen, die sein Vorgänger geschlossen hat.
Wenn er das aus Respekt ihnen gegenüber nicht tun will, könnte er aber darauf hinwirken, dass Frauen noch mehr wirkliche Verantwortung an den höchsten Stellen in der Kirche wahrnehmen. Ich kann mir eine Frau als Leiterin der Glaubenskongregation durchaus vorstellen. Oder auch beim Kardinalsrat: Was hält den Papst davon ab, da auch Frauen zu benennen?
Quelle: Domradio.de >>
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