Der Papst wollte wissen, wie Gläubige zur kirchlichen Sexualethik stehen. Das Ergebnis zeigt: Die Forderungen der Kirche werden fast komplett ignoriert. Sogar die Bischöfe dringen nun auf Reformen.
In der Kunst der kirchlichen Diplomatie kommt es auf jedes Wort an, das gesagt wird. Aber mindestens genauso schwer kann das wiegen, was ungesagt bleibt. Der Vatikan kennt das, aus jahrhundertelanger Praxis. Die römischen Auswerter werden also ihre Schlüsse ziehen können, wenn sie die deutsche Antwort auf Frage 7 a lesen.
Es geht darum, dass die Kirche Verhütung verbietet. Der Vatikan wollte in Frage 7 a wissen, ob man diese ungeliebte Lehre nicht irgendwie populärer machen kann. "Welche Vorschläge zur Vertiefung dieses Thema aus pastoraler Sicht gibt es?", steht in dem Fragebogen zur katholischen Sexualethik, den der Papst an Bistümer in aller Welt geschickt hat.
Doch in ihrer Antwort beschränken sich die deutschen Bischöfe darauf, eine knappe Lagebeschreibung abzugeben: Das Verhütungsverbot werde "von der großen Mehrheit der Katholiken als unverständlich abgelehnt und in der Praxis nicht beachtet". Vorschläge? Keine. Vielleicht halten die Bischöfe eine "Vertiefung dieses Themas" für aussichtslos. Vielleicht sind sie aber auch einfach nicht mehr an ihr interessiert.
An diesem Montag hat die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) ihren Bericht zur kirchlichen Sexualethik-Umfrage veröffentlicht. Das Papier markiert einen Einschnitt im Verhältnis zwischen dem Vatikan und den deutschen Katholiken. Es belegt nicht nur, dass die Gläubigen zentrale Punkte der katholischen Lehre ablehnen. Sondern überraschenderweise auch, dass die deutschen Bischöfe diese Ablehnung verstehen und manche katholischen Aussagen offenbar selbst skeptisch sehen. Die Bischofskonferenz sieht bei der kirchlichen Sexualethik Änderungsbedarf. Und setzt damit Papst Franziskus unter Reformdruck.
Die umstrittensten Standpunkte der Kirche
Im vergangenen Oktober hatte Franziskus seinen umfangreichen Fragenkatalog weltweit verschickt. Geistliche, aber auch Laien sollten sagen, was sie über kirchliche Familien- und Sexualethik wissen und wie sie dazu stehen. Der Fragebogen berührt einige der umstrittensten Standpunkte der katholischen Kirche, neben dem Verhütungsverbot auch das Verbot homosexueller Handlungen sowie den Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten. Die Erkenntnisse sollen die Diskussionsgrundlage bilden für eine außerordentliche Bischofssynode, die im Oktober 2014 in Rom zusammenkommt.
Solche Rom-Synoden sind normalerweise unverbindliche Zusammenkünfte, bei denen sich hochrangige Geistliche aus aller Welt einige grundsätzliche Gedanken machen, und am Ende bleibt alles wie immer. Aber das könnte diesmal anders sein.
Das Ergebnis der nicht repräsentativen Umfrage in Deutschland liegt der Bischofskonferenz mittlerweile vor. Es zeichnete sich schon seit Monaten ab und ist für die Kirche so ernüchternd wie erwartbar: Die Gläubigen wissen wenig über die kirchliche Ethik; und die katholischen Lehren, die den Standards der Gesellschaft widersprechen, werden weitgehend ignoriert. Ein Großteil der Menschen lehnt es ab, sich von einer Institution ihr Privatleben vorschreiben zu lassen.
Wie sag ich's meinem Papst?
Offen war aber: Was machen die deutschen Bischöfe mit diesem Ergebnis? Geben sie es ungeschminkt nach Rom weiter? Teilen sie dem Papst offen mit, dass es in ihrem Zuständigkeitsbereich drunter und drüber geht? Dass sie schon lange nicht mehr in der Lage sind, die Gläubigen in pikanten Punkten auf Linie zu bringen? Oder kaschieren sie das Votum der Gläubigen und kleiden es in eine verharmlosende Politikerprosa, mit vielen "Herausforderungen" und "Entwicklungsfeldern" – und zugleich mit "Chancen" und "hoffnungsvollen Signalen"? Die Bischofskonferenz stand vor der Frage: Wie sag ich's meinem Papst?
In dieser heiklen Situation haben sich die deutschen Bischöfe nun für die Flucht nach vorne entschieden. In ihrer Zusammenfassung der Ergebnisse aus den 27 Bistümern, die vergangene Woche nach Rom ging und nun auch veröffentlicht wurde, heißt es: "Die Antworten aus den Bistümern machen deutlich, wie groß die Differenz zwischen den Gläubigen und der offiziellen Lehre vor allem hinsichtlich des vorehelichen Zusammenlebens, der wiederverheirateten Geschiedenen, der Empfängnisregelung und der Homosexualität ist."
Allgemein werde die kirchliche Lehre als "Verbotsmoral" wahrgenommen, als "unverständlich und lebensfern". Dass die Kirche vielfach von "irregulären" Verhaltensweisen spricht, wirke auf die Menschen "ausgrenzend und diskriminierend".
Nicht einfach zurück zur Tagesordnung
Dramatischer kann eine Mitgliederbefragung nicht ausfallen, zumal für eine Institution, die sich als Anwalt der Ausgegrenzten und Diskriminierten versteht. Das Ergebnis ist so schlecht, dass die Bischöfe offenbar nicht einfach zur Tagesordnung übergehen wollen. Sie wollen, dass der Vatikan das ganze Ausmaß der Krise zur Kenntnis nimmt.
Der Text wurde von einem gemischtgeschlechtlichen Theologengremium erarbeitet und vom Ständigen Rat der Bischofskonferenz abgesegnet. Zur kirchlichen Familienethik im Allgemeinen heißt es: "Die meisten Gläubigen bringen mit der Kirche einerseits eine familienfreundliche Haltung, andererseits eine lebensferne Sexualmoral in Verbindung."
Und kirchenkritisch fügen die Bischöfe hinzu: "Grundsätzlich gilt für gesamtkirchliche Verlautbarungen, dass ihr sprachlicher Duktus und ihr autoritativer Ansatz nicht dazu angetan sind, das Verständnis und die Akzeptanz der Gläubigen zu wecken und zu finden."
"Nicht verstanden bzw. nicht geteilt"
Nüchtern geht das Papier die familienethischen Lehraussagen der Kirche durch und präsentiert einen verheerenden Befund nach dem anderen. So heißt es, die Verbote von Verhütung und außerehelichem Sex würden "von einer Mehrheit der Gläubigen nicht verstanden bzw. nicht geteilt".
Dass die Kirche Homosexualität als sündhaft ablehnt, "wird darüber hinaus als Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verstanden". Und offenbar auch von den Bischöfen selbst, jedenfalls schlagen sie "ein deutlich expliziteres Zugehen auf Menschen in diesen Lebenssituationen" vor.
Auf die treuherzige Frage des Vatikans, ob das Zusammenziehen von Paaren vor der Ehe in Deutschland "eine relevante pastorale Wirklichkeit" sei, stellen die Bischöfe lakonisch fest: "In den Stellungnahmen aus den Diözesen wird übereinstimmend festgestellt, dass die ,voreheliche Lebensgemeinschaft' nicht nur eine relevante, sondern eine nahezu flächendeckende pastorale Wirklichkeit ist. Fast alle Paare, die um eine kirchliche Trauung bitten, leben oft schon mehrere Jahre zusammen (Schätzungen liegen zwischen 90 Prozent und 100 Prozent)." Dies werde "von Katholiken in ähnlich hohem Maße wie von der Gesamtbevölkerung für in Ordnung befunden".
Seitenhieb auf Rom
Der Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten werde "von den Betroffenen als ungerechtfertigte Diskriminierung und Unbarmherzigkeit" empfunden. Auch Katholiken, deren Ehe intakt sei, könnten diese Regelung nicht nachvollziehen. An dieser Stelle gönnte sich die DBK einen doppelten Seitenhieb auf Rom: Der Präfekt der Glaubenskongregation, der designierte Kardinal Gerhard Ludwig Müller, kämpft seit Langem offen gegen eine Auflockerung der katholischen Lehre in diesem Punkt. Gleichzeitig ist "Barmherzigkeit" eine Lieblingsforderung des Papstes.
Sogar Streitpunkte, nach denen der Vatikan gar nicht gefragt hatte, wurden in das Papier aufgenommen – der Zölibat zum Beispiel. Offenbar haben so viele Gläubige und kirchliche Vereine ihren Ortsbischöfen dazu ihre Meinung geschrieben, dass man das Thema nicht unter den Tisch fallen lassen konnte. Der Zölibat werde "von vielen als Ausdruck einer kritischen Grundhaltung der Kirche zur Sexualität gedeutet", heißt es nun. Der O-Ton der Laien dürfte in diesem Punkt noch etwas anders geklungen haben, aber immerhin.
Um die Probleme in den Griff zu bekommen, sehen die Bischöfe die Kirche in der Pflicht, nicht die Gläubigen. Sie drängen auf Reformen. Im Bereich der Sexualethik gelte es unter anderem, "einen Duktus zu finden, der sich vom Vorurteil der Leibfeindlichkeit und einer lebensfeindlichen Gesetzesethik zu befreien vermag". Es sei "unabdingbar", bei der Beurteilung von individuellen Lebenswegen neue Ansätze zu prüfen. Dies gelte zum Beispiel für die wiederverheirateten Geschiedenen.
Früher wurden die Laien nicht gefragt
Bei allen Rückschlägen hat die Umfrage allerdings auch zutage gebracht, welche kirchlichen Standpunkte auch in der säkularen Gesellschaft einflussreich bleiben. Noch immer wünschen sich die meisten Menschen eine dauerhafte Paarbeziehung und sehen eine lebenslange Ehe sowie eine funktionierende Familie als erstrebenswerte Ideale an. Die strikte kirchliche Ablehnung von Abtreibungen wird laut Papier "von der großen Mehrheit der Katholiken" mitgetragen. Viel mehr gute Nachrichten können die deutschen Bischöfe allerdings nicht an ihre Zentrale melden.
Durch die Veröffentlichung der Ergebnisse versucht die Bischofskonferenz zu verhindern, dass die Umfrage rasch in der Schublade verschwindet. Sie will offenbar erreichen, dass die strittigen Fragen nun auch angegangen werden. Ihr Vorbild könnte andere nationale Bischofskonferenzen dazu ermutigen, ihre Erkenntnisse auch offenzulegen. Die dürften zumindest in westlichen Ländern ähnlich ausgefallen sein. Auf die Bischofssynode im Oktober kommt ein geballtes katholisches Mitgliedervotum zu, das ein "Weiter so" schwer möglich macht.
Vor Franziskus richteten die Päpste vergleichbare Umfragen normalerweise nur an Geistliche. Die Laien fragten sie nicht. Sie wussten, warum.
Zusammenfassung der Antworten aus den deutschen (Erz-)Diözesen auf die Fragen im Vorbereitungsdokument für die Außerordentliche Vollversammlung der Bischofssynode 2014 als PDF (107,68 KB) >>
Ergebnisse des Fragebogens zur Bischofssynode
Pressemeldung der Deutschen Bischofskonferenz >>
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