Überlegungen zum „Aufruf“ der Pfarrerinitiative
Als Jurist, der im öffentlichen Leben verantwortliche politische Funktionen ausgeübt hat, sehe ich im Konflikt zwischen der Pfarrerinitiative und dem Wiener Erzbischof Schönborn eine Brisanz und eine Tragweite, die offenbar noch nicht überall erkannt werden. Geachtete und beliebte Seelsorger haben sich zu einem bisher einmaligen Schritt entschlossen, der die Auseinandersetzung zwischen den Kräften kirchlicher Erneuerung und dem vatikanischen System an einen entscheidenden Punkt geführt hat.
Kardinal Schönborn beruft sich auf das Prinzip des Gehorsams, gegenüber dem alle anderen Erwägungen zurücktreten müssten. Würde er das nicht durchsetzen, wäre die päpstliche Autorität erschüttert. Auch auf der anderen Seite ist ein Zurückweichen nicht möglich, wollten Helmut Schüller und seine Freunde nicht ihr Gewissen verraten. Ein Kompromiss ist in diesem Präzedenzfall, der mittlerweile weltweite Aufmerksamkeit gefunden hat, wohl ausgeschlossen. Die Niederlage für eine der beiden Konfliktparteien erscheint unausweichlich.
Sie wird ganz sicher Ausgangspunkt weiterer dramatischer Entwicklungen sein. Staats- und naturrechtlich ist unbedingter Gehorsam nur gegenüber Autoritäten zu leisten, die über eine anzuerkennende Legitimation für ihre Machtausübung verfügen. Sie können diese nach heutigem Verständnis nur durch den Souverän Volk und seine Vertreter oder natürliche Gegebenheiten der Obsorgepflicht erhalten haben, wie dies etwa bei Eltern gegenüber ihren Kindern der Fall ist.
In der vordemokratischen Geschichte haben die Herrscher ihre Macht göttlich legitimiert. Auch in der Neuzeit wurde dies auf modifizierte Weise fortgesetzt. Autoritäre Systeme beriefen sich auf historische Notwendigkeit (bei Stalin der Klassenkampf des Marxismus), auf höhere Mächte (Hitlers „Vorsehung“) oder das Interesse der Nation. Eine solche Legitimierung des Wahns führt zwangsläufig zur Willkür. Sie erfolgt immer, um sich der Verantwortung gegenüber den Menschen und deren natürlichen Rechten zu entziehen. Das Prinzip des Dienstes geht verloren.
Doch diesen Weg beschreitet die Kirchenleitung noch immer, indem sie sich auf ihre Einsetzung durch Jesus und eine Stellvertreterrolle Gottes beruft. Dazu ist sie aber nicht berechtigt. Jesus hat keinen Auftrag zur Errichtung von Ämter- und Machtstrukturen erteilt, sondern vor diesen ausdrücklich gewarnt. Im Wissen um den Missbrauch einer angeblich göttlichen Berufung verbietet er, dass Menschen eine Autorität in Anspruch nehmen, die allein seinem heiligen Vater im Himmel vorbehalten sei.
Der aufgebrochene Konflikt hat demnach eine tiefe theologische und menschenrechtliche Dimension. Setzt das klerikale System Vorschriften durch, die sich nicht auf den Willen Jesu berufen können, ist es eindeutig nicht (mehr) christlich. Es verliert dann endgültig seine eigentliche Legitimation der Nachfolge Jesu und degradiert sich selbst zu brüchigem Menschenwerk.
Ein Beharren auf einem bloß formalen Gehorsam – noch dazu unter Berufung auf das von Jesus verworfene Schwören – bedeutet die Missachtung aller Erfordernisse einer tragfähigen Gemeinschaftsbildung und der Prinzipien kluger Menschenführung, wie sie auch in Jesu Lehre deutlich zu Tage treten. Das vatikanische System, in dessen Auftrag Schönborn zu agieren gezwungen ist, würde mit Konsequenzen gegenüber der Pfarrerinitiative seinen Machtanspruch endgültig als einen bloß angemaßten erkennen lassen.
Ein solcher ist unerträglich. Ihm ist nicht Gefolgschaft sondern Widerstand zu leisten. Es mag sein, dass Schönborn dies mit seiner Intelligenz zu erkennen vermag. Er befindet sich in einer ausweglosen Situation, der versuchte Zeitgewinn befreit ihn davon nicht. Die Stunde der Wahrheit kommt unausweichlich. Es ist jene Wahrheit, die bekanntlich frei macht.
Die Entwicklung zur Befreiung von einem Kirchenregime, das in die Irre gegangen ist, erscheint unaufhaltbar. Die Pfarrerinitiative weiß, dass sie in einer Auseinandersetzung, die nun einen Höhepunkt, aber noch keineswegs ihr Ende erreicht, auf der Seite Jesu steht. Ebenso der weitaus überwiegenden Zahl jener, denen heute Glaube und Kirche noch am Herzen liegen. Sie kann daher dem Kommenden getrost entgegensehen.
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Pfarrerinitiative-NEWSLETTER 9 vom 10. August 2011
4 Kommentare:
Lieber Herr Kohlmaier, danke für Ihre klare Analyse! - und vor allem für diesen Satz:
"Die Entwicklung zur Befreiung von einem Kirchenregime, das in die Irre gegangen ist, erscheint unaufhaltbar. Die Pfarrerinitiative weiß, dass sie in einer Auseinandersetzung, die nun einen Höhepunkt, aber noch keineswegs ihr Ende erreicht, auf der Seite Jesu steht. Ebenso der weitaus überwiegenden Zahl jener, denen heute Glaube und Kirche noch am Herzen liegen. Sie kann daher dem Kommenden getrost entgegensehen."
Zitat: Die Legitimation der kirchlichen Autorität kann "NUR durch den Souverän Volk und seine Vertreter" gegeben werden. - Hat Petrus auch eine Volksbefragung gemacht, bevor er z.B. schrieb "falsche Lehrer werden verderbliche Irrlehren verbreiten" (2Petr 4,1ff)? Welches Volk stand hinter ihm als Souverän? Nach Ihrer Logik, Herr Kohlmaier, könnte oder sollte "das Volk" z.B. auch über die Dreifaltigkeit und die Auferstehung befinden, da ja ALLE Entscheidung vom Volk auszugehen hat.
Das Volk hat nicht immer Recht. Hitler konnte seine Macht auf ein Plebiszit zurückführen.
@ Michi
Ich stimme Ihnen zu, dass die Demokratie ihre Grenzen hat, und auch das Volk - was immer das näher sein mag (nur Funktionäre? Ausnahmslos alle möglichen Personen?) - nicht immer Recht hat. So manche zeitgenössische Demokratie stellt unter Beweis, dass an dem Satz, dass sich die dümmsten Kälber ihre Schlächter selber wählen, schon etwas dran ist.
Die katholische Kirche ist, selbst bei liberalster Definition, noch immer eine Hierarchie und keine Demokratie. Aber sie ist durch das Konzil und seine Folgen, durch die Neuentdeckung des "Volkes Gottes", demokratischer geworden. Daher kann das Gottesvolk (das ich nicht auf Funktionäre beschränkt sehen möchte) mitreden. Nicht in zentralen Glaubensfragen (über die Auferstehung, über die Gottesmutterschaft Mariens und auch über die Legitimation der sieben Sakramente, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen), da haben Konzile Definitives gesagt, das für alle Zeiten gilt, gerade auch deshalb, weil es sich seit Jahrhunderten wunderbar bewährt.
Anders sehe ich das im Zusammenhang mit Fragen der Definitionen von Sakramenten, und in Fragen der Kirchenstruktur, der Leitungsformen und möglicher Verbesserungen und Veränderungen in der Seelsorge. Das sind Fragen, die der geschichtlichen Entwicklung unterworfen sind, wo beispielsweise der Charakter eines Sakramentes verdunkelt werden kann, oder wir alle als Kirche wichtige Veränderungen versäumen können, wenn wir nicht laut denken.
Mag sein (mein persönlicher Eindruck ist das), dass das Reizwort "Ungehorsam" und das Auftreten von Helmut Schüller die ganze Sache eher schwieriger als leichter machen. Aber die Pfarrer- wie auch die Laieninitiative stellen Fragen, an denen man nicht vorbei gehen kann, wenn einem ein Aufbruch in der römisch-katholischen Kirche eine Herzenssache ist. Hier werden beide Seiten (also auf der anderen die gesamte Hierarchie bis zum Papst) zum Wohl unzähliger katholischer Christinnen und Christen hoffentlich bald eine gute Dialogbasis finden.
Vor allem durch eine "Vermassung " der Gemeinden und Fehlen eines Katechumenats für Erwachsene (insbesondere eines nachgeholten für jene, die als Säuglinge getauft wurden) – ist es zu erklären, dass die Kirche von einer Gemeinschaft von Gemeinden aus im Glauben mündig gewordenen Christen, also von einer “Gemeindekirche”, zu einer “Priesterkirche” wurde, in der die geweihten Amtsträger über einem anonymen Volk stehen. Dementsprechend entwickelte sich auch die Theologie des Amtspriestertums: Nicht mehr die Gemeinde verkörpert Christus als sein “Leib”, sondern der Amtspriester wird zum Stellvertreter und Repräsentanten Christi, zu dem über der Gemeinde stehenden Leiter, zum Heilsmittler und Spender der Sakramente.(258) Die Kirche wurde zu einem hierarchischen System. Diese Entwicklung wurde im Zweiten Vatikanum keineswegs korrigiert. Dort gab es zwar eine Vision von Kirche als Communio und damit als geschwisterlicher Gemeinschaft: “Da aber die Kirche in Christus gleichsam das Sakrament bzw. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts ist …” (“Lumen gentium”, Art. 1: DH 4104; ebd. Art 8 wird die Kirche als “Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe” bezeichnet: DH 4118). Doch an der kirchlichen Lehre über das amtliche Priestertum und an der hierarchischen Struktur wurde nichts geändert (trotz der Rede von Kollegialität). In einem Bild ausgedrückt: Es wurde eine Communio-Kirche als Ziel ins Auge gefasst, aber die Weichen wurden nicht in diese Richtung gestellt, und es wurden keine neuen Geleise gelegt. Daher blieb sie eine Vision.
Dazu schreibt Jean-Paul Audet: “Im Großen und Ganzen spiegelt ‚Lumen gentium’ ein Kirchenbewusstsein wider, das dem bedeutend näher kommt, in dessen Sinne sich in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts die Dinge entwickelten, als dem der Zeit vorher…”. Wichtigstes Bild für die Kirche bleibt im Konzil das Volk. Dieses wird als eine große und daher anonyme “Masse” oder “Herde” gesehen, die nicht um der nötigen Gemeinschaft der Gläubigen untereinander willen, sondern um der Betreuung durch geweihte Amtsträger willen in Diözesen und Gemeinden “aufgeteilt” wird
Die Rückgewinnung der Basis- oder Stammgemeinde wäre also der entscheidende Weg zu einer Erneuerung der Kirche als Communio im Sinn des Neuen Testaments. Dazu wieder Jean-Paul Audet: “Die ‘Stammgemeinde‘ … ist der ursprüngliche und normale Platz, an dem die christliche Brüderschaft in ihrer ganzen Fülle erkannt, entfaltet und gelebt werden kann. Es wäre daher naiv, anzunehmen, wir könnten auf ihre Mittlerrolle verzichten. Der Schlüssel zu einer echten Erneuerung der Kirche ist heute in eben dieser Stammgemeinde zu suchen, die der Natur der Dinge nach der eigentliche Ort für die Geburt und Entwicklung christlicher Brüderschaft ist.”(261)
(258) Das wurde schon sehr bald und wird auch heute noch äußerst fragwürdig begründet: Im Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 1589) wird mit den Worten Gregors von Nazianz (or. 2, 73) vom Priester gesagt: “Er … erneuert die Schöpfung, … schafft sie neu für die himmlische Welt und, was das Erhabenste ist, wird vergöttlicht und soll vergöttlichen.”
Vergl.: Jean-Paul Audet, Priester und Laie in der christlichen Gemeinde. Der Weg in die gegenseitige Entfremdung. In: Der priesterliche Dienst. Bd 1: Ursprung und Frühgeschichte. Mit Beiträgen von Alfons Deisler, Heinrich Schlier, Jean-Paul Audet. Freiburg i. Br. 1970,
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