Sonntag, 5. Dezember 2010
"Nehmt einander an, so wie Christus uns angenommen hat"
Predigt von Pfarrer Dietmar Stipsits am 2. Adventsonntag:
Liebe ChristInnen!
Ein Satz aus der heutigen Lesung (Röm 15,4-9) lässt mich nicht los: „Nehmt einander an, so wie Christus uns angenommen hat.“ Einander annehmen, das ist leicht gesagt, aber wenn ich die konkreten Menschen anschaue … Bei manchen Menschen habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten, sie anzunehmen, bei anderen kann ich mir das nur schwer vorstellen. Genauso erging es auch den Menschen in der Gemeinde von Rom.
Je älter ich werde, umso mehr bin ich davon überzeugt, dass unter all den Grundbedürfnissen des Menschen dies eines der wichtigsten ist: angenommen zu werden. Wenn ich spüre, dass ich angenommen bin, dann ist alles gut, oder sagen wir es vorsichtiger: Selbst wenn ich etwas Schlimmes zu bewältigen habe, ist es nur noch halb so schlimm. Aber wenn ich mich abgelehnt fühle, dann hilft mir alles nichts, denn ich werde mich zurückziehen, werde verkrampft sein, werde vom Misstrauen gelenkt werden.
Jesus hat die Menschen angenommen. Und er verlangte keine Vorleistungen und stellte keine Bedingungen. Wir denken meist anders. Wir sagen: Erst muss die oder der sich ändern, dann ist vielleicht ein Kontakt möglich. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn ich den andern links liegen lasse, hat er überhaupt keine Chance, sich zu verändern; wenn ich ihn annehme, sieht vieles plötzlich ganz anders als zuvor aus.
Genug Beispiele gibt es dafür. Ich denke z. B. an Nachbarn oder Verwandte, die miteinander verfeindet waren, und irgendwann hat einer den andern gegrüßt und schließlich auch ein kurzes Gespräch aufgenommen, ohne dass zuvor eine ausführliche demütigende Entschuldigung abverlangt wurde. Diese Bitte um Verzeihung wird oft erst sehr viel später nachgereicht oder ist vielleicht manchmal durch das gegenseitige Annehmen sogar überflüssig geworden.
Ich denke an Menschen, die von Minderwertigkeits-gefühlen geplagt werden, die in eine Sackgasse geraten sind, die aber neuen Lebensmut gewinnen können, wenn andere sie spüren lassen, dass sie anerkannt und geschätzt werden.
Oder welche Hilfe ist es für einen Neuen in der Schule oder am Arbeitsplatz, für eine Neuzugezogene in einem Dorf, wenn sie angenommen wird, auch wenn manches an ihr vielleicht fremd und ungewohnt ist? Wer den anderen annimmt, der kann wirklich Wunder bewirken.
Zu diesem vorbehaltlosen Annehmen braucht es Mut. Die Angst, eventuell ausgenützt zu werden, ist eben groß. Unser berechnender Verstand rät zur Vorsicht und verweist auf frühere Enttäuschungen. Aber unser Herz weiß es besser. Unser Herz weiß, dass der Mensch nur dann l(i)eben kann, wenn er angenommen wird, so wie uns Jesus angenommen hat.
Deshalb lässt mich dieser Satz von Paulus nicht los: „Nehmt einander an, so wie Christus uns angenommen hat.“ Es gibt viele, die darauf warten, die das dringend brauchen heute und bis in Ewigkeit.
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