Donnerstag, 16. Dezember 2010

Bischofsbestellung - historische Betrachtungen zu einer Fehlentwicklung



Univ. Doz. Dr. Gerhard Hartmann
Bischofsbestellung – historische Betrachtungen zu einer Fehlentwicklung
Vortrag bei der Enquete der Reformbewegungen in der Katholischen
Kirche Österreichs am 27. November 2010 in Wien

Zusammenfassung
1. Die Befassung mit der Geschichte im allgemeinen und mit der Kirchengeschichte im besonderen hat etwas Tröstliches an sich. Sie führt zur Erkenntnis, daß die historischen Abläufe einem ständigen Wandel unterworfen sind und es rückblickend keinen Ewigkeitszustand gibt. Gegner des Unfehlbarkeitsdogmas auf dem Ersten Vatikanum im Jahr 1870 haben den Befürwortern entgegengehalten: Olim sic non erat. Einst war es nicht so.

2. Anhand zahlreicher Zeugnisse kann man erkennen, daß die Wahl der Bischöfe die unbestrittene Praxis in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche sowie der frühen westlichen, d. h. lateinischen Kirche, war. Es steht außer Zweifel, daß von Anfang an eine Wahl durch das Volk und den Klerus die normale Form war. Nach der konstantinischen Wende (313) wurde dieses Prinzip durch Begehrlichkeiten von Kaisern und Königen zwar oft unterlaufen, aber weder von diesen noch von Rom je in Frage gestellt. Diese Praxis war dann rund 1000 Jahre, also die Hälfte der Kirchengeschichte, vom Grundsatz her unbestritten.

3. Nach der ersten Halbzeit der bisherigen Kirchengeschichte – nämlich im 11. Jahrhundert – entwickelte sich aus unterschiedlichen, nicht zuletzt vor allem aus pekuniären Motiven zum einen die Tendenz des Papsttums, die Bischofsbestellung an sich zu ziehen. Infolgedessen kam es zu einer sukzessiven Ausschaltung der Laien, d. h. des „Volkes“, von den unmittelbaren Wahlhandlungen. In der Praxis bildeten sich feste Wahlkollegien heraus, nämlich die Domkapitel. Damit wurde die Bischofswahl klerikalisiert.

4. Die Tendenz des Papsttums, die Bischofbestellung an sich zu ziehen, wurde durch das Exil in Avignon und das Abendländische Schisma, sowie den Konziliarismus des 15. Jahrhunderts entscheidend abgeschwächt. Die Wahl der kirchlichen Amtsträger blieb daher weiterhin das vorherrschende, an sich unbestrittene Grund-Prinzip. Es wurde jedoch durch das im 15. Jahrhundert wieder eingeführte landesfürstliche Nominationsrecht unterlaufen.

5. In den konkordatären Regelungen nach dem Wiener Kongreß (1815) suchte der Heilige Stuhl, noch überall das freie Kapitelwahlrecht gegen Einflußversuche des Staates bzw. der regierenden Häupter durchzusetzen, was ihm auch fast immer gelang. Von einem alleinigen Ernennungsrechtsanspruch des Papstes war damals nicht die Rede.

6. In der Schweiz konnten nach 1815 für Basel, Chur und St. Gallen ein freies Domkapitelwahlrecht gesichert werden, daß 1943 jedoch für Chur in ein solches aufgrund eines Dreiervorschlags geändert wurde. Für die übrigen Schweizer Diözesen besteht ein päpstliches Ernennungsrecht.

7. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kippte das bisherige System zugunsten des alleinigen Ernennungsanspruchs des Papstes. Beschleunigt bzw. beeinflußt wurde das sicher durch die Definition der Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats des Papstes im Juli 1870 auf dem I. Vatikanum.

8. 1917 wurde der neue Codex Iuris Canonici, der CIC, promulgiert. Bezüglich der Bischofsbestellung kam es nun zum endgültigen Durchbruch des päpstlichen Alleinanspruchs.
So hieß es daher in c. 329 § 2: „Die Bischöfe ernennt der Papst frei.“

9. Ähnlich wie nach den Napoleonischen Kriegen war es aufgrund der Umwälzungen auch nach dem Ersten Weltkrieg notwendig, zu Regelungen zwischen Staat und Kirche zu kommen. Während in Bayern und Österreich der Heilige Stuhl das päpstliche Ernennungsrecht durchsetzen konnte, verblieb im übrigen Deutschland sowie in Salzburg ein Domkapitelwahlrecht aufgrund eines päpstlichen Dreiervorschlags.

10. Auf dem II. Vatikanum kam es lediglich zur Aussage, daß staatliche Stellen keinen Einfluß auf die Bischofsbestellung haben sollen.

11. In den Orthodoxen wie altorientalischen Kirchen sowie in den mit Rom unierten Ostkirchen herrscht bei der Bischofsbestellung das synodale Prinzip.

12. Die Irritationen um Bischofsbestellungen ab den achtziger Jahren forcierten die Diskussion um eine Verbreiterung der Bischofsbestellung bzw. um eine Demokratisierung der Kirche, bei der zahlreiche konkrete Vorschläge gemacht wurden, die aber von Rom nicht ernstgenommen wurden. Es kam auch zur Kirchenvolksbegehrens-Bewegung.

13. Die Glaubwürdigkeitskrise der Kirche ab 2009 verschärfte diese Debatte. Vor diesem Hintergrund wurden und werden Stimmen nach Reformen in der Kirche immer stärker, und auch Bischöfe sehen die Lage der Kirche zunehmend kritisch und formulieren derartige Überlegungen auch in aller Öffentlichkeit.

14. In diesem Zusammenhang steht auch die Forderung nach einer Verbreiterung der Mitwirkung bei der Bischofsbestellung, die keine Frage der katholischen Glaubenssubstanz berührt. Eine Hinwendung sowohl zur Praxis früherer Zeiten als auch zur demokratischen Lebenswirklichkeit der Menschen würde das Glaubwürdigkeitsproblem der katholischen Kirche zu einem erheblichen Teil abmildern helfen.

15. Das jetzige System der Bischofsbestellungspraxis in der Lateinischen Kirche kann man als eine Fehlentwicklung bezeichnen, weil sie weder auf biblischen Grundlagen, noch auf der historischen Praxis der Kirchengeschichte beruht. Sie geht auch nicht konform mit der Communio Ekklesiologie des II. Vatikanums.

Der Vortrag fußt inhaltlich weitgehend auf:
Gerhard Hartmann
Wählt die Bischöfe! Ein Vorschlag zur Güte und zur rechten Zeit (= topos taschenbücher
716). Kevelaer 2010. ISBN 978-3-8367-0716-9.

1 Kommentar:

Schillebeeckx hat gesagt…

Exzellenter Artikel, DANKE!

Und verdammt schade, dass so etwas nicht in jeder diözesanen Kirchenzeitung (nicht nur im Eisenstädter martinus) abgedruckt wird, genauer gesagt, abgedruckt werden kann. Alle Katholiken sollten das lesen!

Das Zweite Vatikanum ist nicht so tot, wie manche Leute in der Führungsetage unserer Kirche denken!