Mittwoch, 2. März 2016

Pater Klaus Mertes über Schweigekartelle in der Kirche

Intransparenz und Macht

Rund sechs Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in Deutschland herrscht für Pater Klaus Mertes noch Reformbedarf. Auch wenn sich viel getan habe, begünstigten die Kirchenstrukturen nach wie vor Schweigekartelle.

domradio.de: Spotlight hat in der Nacht den Oscar für den besten Film gewonnen - der Film beleuchtet, wie die Zeitung The Boston Globe den umfassenden Missbrauch im Erzbistum Boston vor 15 Jahren ans Licht brachte. In den USA war damals eine säkulare Zeitung nötig, um den umfassenden Missbrauch bekannt zu machen. Noch heute ist man entsetzt, dass so etwas möglich war. Warum hat da kirchliche Leitung so versagt?

Pater Klaus Mertes (Direktor des Kollegs St. Blasien, Jesuiten-Gymnasium mit Internat für Jungen und Mädchen): Es ist eben ein Versagen und zum Begriff des Versagens gehört, dass es nicht notwendig so hätte laufen müssen, man hätte eben auch von intern her reagieren können und hat es nicht getan. Es sind im Grunde immer dieselben banalen Gründe: die Furcht vor dem Imageschaden und die schmerzlichen Veränderungen im Selbstbild, die man zulassen muss, wenn man von innen her aufklären will.

domradio.de: Der Film zeigt, wie lange es dauerte, bis die Journalisten ein Schweigekartell durchbrochen hatten. Viele Opfer und auch die Eltern wollten nicht darüber sprechen, dass ihren Kindern etwas Schreckliches passiert ist, was sagt das über die Macht aus, die die Kirche damals besessen hat?

Mertes: Schweigekartelle sind höchst komplexe Phänomene, weil sie ja letztlich Angst gesteuert sind und zwar bei allen Beteiligten, sie nennen ja die Eltern und die Opfer ganz zurecht, es sind ja alle im Schweigekartell drin. Es ist ja nicht einfach nur ein banaler bewusster Unterdrückungsakt von oben. Allerdings kommt die Macht der Kirche hier in besonderer Weise zum Ausdruck, dass es ja einen Schutz einer Institution und Autorität betrifft, die sich selbst als heilig versteht und deswegen sehr schwer hat, Kritik zu zulassen.

domradio.de: Sie haben als Rektor des Jesuitengymnasiums Canisius-Kolleg in Berlin den Missbrauchsskandal in Deutschland bekannt gemacht. Was war für Sie persönlich der Auslöser, wo sie gesagt haben, jetzt muss ich an die Öffentlichkeit gehen?

Mertes: Der entscheidende Punkt ist ja der, dass ich mich nie entschieden habe, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich habe mich entschieden, mich an die Opfer zu wenden. Ich habe einen Brief an 600 ehemalige Schüler geschickt, nachdem drei Männer, die 1980 Abitur gemacht hatten, mir von dem Missbrauch von zwei Patres erzählt hatten. Daraus schloss ich, dass es mindestens bei einem Pater 100 Opfer geben müsste und dann sah ich mich verpflichtet, mich an die Opfer zu wenden und zu sagen: Hallo, ihr habt Schlimmes erfahren, damals seid ihr aller Wahrscheinlichkeit noch gar nicht gehört worden, jetzt wollen wir hören. Das war vereinfacht gesagt, die Botschaft meines Briefes. Der Brief ist dann an die Presse geraten und dann kam es zu der Pressekonferenz . Mir war es wichtig, der Erstadressat für meine Tätigkeit, der ich ja innerhalb des Systems war, war mich an die Opfer zu wenden.

domradio.de: Heute sind wir sechs Jahre weiter, die katholische Kirche hat in Deutschland reagiert, hat ihre Leitlinien gegen sexuellen Missbrauch ausgeweitet, einige Priester wurden aus ihren Ämtern entfernt. Sehen Sie die Kirche im Moment auf einem guten Weg oder sagen Sie, es wird immer noch nicht genug getan für die Opfer?

Mertes: Ersteinmal in der Kirche hat sich sehr sehr viel getan. Ich glaube, dass keine Institution in Deutschland das Thema des Missbrauchs so ernst angegangen ist wie die katholische Kirche. Es ist vorallem auf der Ebene der Gemeindeleitungen, der Schulleitungen, der Präventionsbeauftragten sehr sehr viel getan worden. Auf der einen Seite sehe ich sicherlich einen guten Weg, auf der anderen Seite sind wir überhaupt noch nicht am Ende. Ich sehe vorallem zwei Probleme. Das eine ist, dass wir uns zu sehr auf Prävention beschränken und die Kommunikation mit den Opfern der Vergangenheit darüber ins Hintertreffen gerät. Das zweite ist, dass wir konsequent verweigern, die Strukturfragen zu stellen, die notwendig zu stellen sind, wenn man sich die Struktur von Schweigekartellen in der katholischen Kirche anschaut. Diese gibt es immer noch.

domradio.de: Was müsste sich an der Struktur ändern, um diese Kartelle zu verhindern?

Mertes: Es gibt zwei ganz große Themenkomplexe: der eine Themenkomplex betrifft das Verhältnis zur Sexualität in der katholischen Kirche, das durch starke Tabuisierungen gekennzeichnet ist. Wenn sie die ansprechen, natürlich auch massive Aggressionen hervorrufen. Insbesondere hier das Thema Homophobie in der katholischen Kirche, die meines Erachtens ein wesentlicher Grund für das Schweigen gewesen ist. Zweitens die Frage, wie wird denn überhaupt Macht in der katholischen Kirche organisiert. Das fängt an bei der Frage wie transparent sind die Verfahren für Bischofsernennungen bis hin zu der Frage an welcher Stelle kann überhaupt Macht kontrolliert werden in der katholischen Kirche? Das sind zwei grundlegende Themenbereiche an denen in der katholischen Kirche gearbeitet werden muss und da gibt es immer noch massive Widerstände, bis dahin zu behaupten, solche Fragen zu stellen, sei nichts anderes als Instrumentalisierung im Missbrauch für kirchenreformerische Anliegen. Was natürlich eine weitere Weise ist, das Thema zu tabuisieren.

Quelle: domradio.de >>

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