Mittwoch, 3. August 2011

Kolb: "Schönborn, Kapellari & Co betreiben Vertreibungsaktion der Gläubigen"

 
Univ. Prof. Dr. Anton Kolb, der bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Graz lehrte, hat der Laieninitiative eine Stellungnahme zur Kritik der Bischöfe Schönborn und Kapellari an der Erklärung der Pfarrer-Initiative zur Verfügung gestellt. Ich gebe sie  hier in geringfügig gekürzter Form wieder:

Bischof Egon Kapellari von der Diözese Graz-Seckau hat „klar und entschieden“ dagegen Stellung genommen: Die Bischöfe und der Papst wüssten über pastorale Nöte Bescheid. Es gäbe in Wirklichkeit aber diesbezüglich „keinen Notstand…, der einen Sonderweg der Kirche in Österreich außerhalb der Weltkirche auch nur rational rechtfertigen würde.“ Man gefährde „auf schwerwiegende Weise die Identität und Einheit der katholischen Kirche.“ Es handle sich um eine „selektive Wahrnehmung“. Man dürfe nicht „gemeinsame Verpflichtungen einseitig aufkündigen.“
Bischof Kapellari betreibt eine alte, immer wiederholte, längst bekannte und weitgehend widerlegte Argumentation der Reformverweigerer. So wäre in der Kirche nie eine Reform zustande gekommen, die de facto immer "von unten" begonnen hat. Das Argument von der "Weltkirche" wird bereits zum Überdruss wiederholt. Die Identität und die Einheit der Weltkirche werden einseitig und eindeutig viel eher von Kapellari & Co., „von oben“, von der Hierarchie bedroht. Die Mitglieder der "Pfarrer-Initiative" können, sollen und wollen sich selbstverständlich "rational rechtfertigen". Die "Ratio", „bestes Wissen“ hat Kapellari nicht gepachtet, auch wenn er sich immer so zu geben versucht, sie anderen nicht ohne weiteres zugesteht.
Die "selektive Wahrnehmung" ist in einem weitaus höheren Maß den Reformverweigerern zuzuschreiben, als den Reformern. Die Verweigerer waren im Verlauf der Kirchengeschichte daran schuld, dass die Kirche Schaden genommen hat. Sie sollten also wenigstens post factum aus der Geschichte lernen, und ihre eigenen „Verpflichtungen“ gegenüber dem reformwilligen Kirchenvolk wahrnehmen, die sie sträflich vernachlässigen. Wer seine Verpflichtungen gegenüber dem Kirchenvolk so vernachlässigt, der soll nicht von den Verpflichtungen der Pfarrer sprechen, die diese unter schwierigen Umständen erfüllen, eine Pastoral der Barmherzigkeit betreiben.
Kapellari & Co. zementieren den Zentralismus sowie den Erhalt und die Ausübung eigener Macht, kompensieren verschiedene eigene (menschliche) Mängel. Es erweist sich weder didaktisch als brauchbar noch ist es sachlich wirklich hilfreich, dass z.B. auch vom Bischof Klaus Küng von St. Pölten im gegebenen Zusammenhang der Gehorsam der Priester herausgestrichen und eingefordert wird. Man wird auch unfolgsamen „Kindern“ nicht mit Erfolg sagen können: Sei schön gehorsam, das bist du den Eltern schuldig! So macht man Pfarrer und Gläubige zu unmündigen Kindern. Solche Argumente und solches Verhalten wirken sich schon lange negativ aus und liefern den Grund und die Rechtfertigung für den „Aufruf zum Ungehorsam“.
Der Papst und die Bischöfe können und wollen offensichtlich nicht begreifen, dass sie selbst an den gegenwärtigen Entwicklungen – wie z.B. auch am „Aufruf“ – schuld sind, weil sie in den letzten Jahrzehnten unbekümmert und mit den immer gleichen Ausreden jede Reform verweigert und verhindert haben. Sie sollten also viel eher an die eigene Brust klopfen und zumindest ihre Mitschuld eingestehen. Sie verwechseln Ursache und Wirkung. 
Gleich einseitig – wenn nicht noch schlimmer – fällt die Argumentation von Kapellari aus, was das Gewissen betrifft. Dieses ist wahrlich ein „hoch geachteter Wert“, aber nicht im Sinne von Kapellari. Es hat nämlich nicht dem „Papst und Bischöfen“, nicht der „weltweiten Gemeinschaft“ der Kirche zu dienen, ist nicht deren Einrichtung, ist nicht von diesen zu instrumentalisieren. Ganz im Gegenteil kann und soll es fallweise gerade auch zu Recht dagegen aufbegehren, wie im vorliegenden Fall. Wenn die pastorale Notsituation „sowohl den Bischöfen wie dem Papst bekannt“ ist – wie Kapellari schreibt -, warum unternehmen sie dann nicht wirklich etwas Greifbares, Sichtbares und Hilfreiches dagegen? Bloße Ankündigungen und Behauptungen genügen nicht. Der bloße und übertriebene Gehorsam der Bischöfe dem Papst gegenüber genügt auch nicht, kann, soll und darf nicht als Vorbild, sondern allenfalls nur als Ausrede dienen. 
Kann man das alles mit „bestem Wissen und Gewissen“ verantworten, die Kapellari dem Papst und den Bischöfen, somit auch sich selbst, zugesteht? Warum dann nicht auch den Pfarrern, die sich schon vorher darauf berufen haben, die den „Aufruf“ befürworten? Es ist wahrlich hypertroph, sich selbst „bestes Wissen und Gewissen“ zuzusprechen, den betreffenden Pfarrern aber gleichzeitig abzusprechen. Wie wäre es mit einer Gewissenserforschung seitens der Hierarchie? Zumindest für die Gläubigen ist das Gewissen auf Gott bezogen, und nicht auf den Papst und die Bischöfe. Man sollte für die eigenen Pfarrer, Diakone und Gläubigen mehr Verständnis haben, ihnen mehr entgegen kommen, ihnen Hilfe anbieten, sie nicht weiter brüskieren und vertreiben, vielmehr ihre geistlichen, geistigen, pastoralen Gaben bzw. Charismen und Kompetenzen wert schätzen und unterstützen. Sie schreiben, reden, predigen und arbeiten aus Liebe zur Kirche. Man möge ihnen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit widerfahren lassen, die um das Wohl und nicht um die Wolle ihrer „Schafe“ besorgt sind. 
Es ist bedauerlich und betrüblich, wie pastoral oberflächlich, rückständig und unbekümmert („kein Notstand“), theologisch dürftig und kirchengeschichtlich betrachtet falsch hier auf eine wirkliche und konkret existierende Notsituation reagiert wird. Das System schlägt zurück. Man steige herab vom Thron, vom hohen Ross, um die Systemkrise nicht weiter zu verschärfen. Man respektiere das Gewissen der Pfarrer. Die Zeit der Bischöfe ist hoffentlich bald vorbei, in der sie wie bisher öffentlich mehr oder minder von den Mitgliedern der eigenen Kirche unbehelligt weiter regieren, ihre „Herrschaft“ ausüben können.
Etwas verspätet hat auch Kardinal Schönborn auf den „Aufruf zum Ungehorsam“ geantwortet. Was ich als Kritik an Kapellari geschrieben habe, gilt ceteris paribus auch für Schönborn, der in ähnlicher Weise wie dieser zu argumentieren versucht. Er hat, wie er selber sagt, „im Zorn und in Trauer“ reagiert. Dem Leser der Aussagen Schönborns bleibt auch nur als einzige Möglichkeit, dass ihm nämlich in tiefer Trauer die Zornesröte in das Gesicht steigt. Schönborn schreibt weiter: „Mich erschüttert der offene Aufruf zum Ungehorsam.“ Sehr viele aber erschüttert noch viel mehr seine Uneinsichtigkeit, seine behauptete eigene Schuldlosigkeit, ja fast Heiligsprechung der eigenen Antwort, die letztlich einer Verantwortungslosigkeit gleichkommt.
 
„Wer das Prinzip des Gehorsams aufgibt, löst die Einheit auf.“ Die „Pfarrer-Initiative“ hat keineswegs das Prinzip des Gehorsams aufgegeben, sondern den falsch verstandenen, überzogenen, bedingungslosen Gehorsam kritisiert. Das tut den Bischöfen weh, weil sie gerne hätten, dass man ihnen weiterhin schön brav gehorcht wie bisher, dass sie weiter „regieren“ können wie bisher. Es ist biblisch und theologisch schlichtweg falsch, die „Einheit der Kirche“ vom Gehorsam abhängig zu machen. Die Pfarrer haben weiters genauso wenig generell den „Ungehorsam zur Tugend erhoben.“ Man sollte also keinen Buhmann aufbauen, es sich nicht so leicht, zu leicht, zu bequem machen. Die „schmerzliche Verwundung der Einheit“ ist Schönborn selbst zuzuschreiben.
Man verteidigt und beschwört eine „Einheit“, die es ohnehin schon lange nicht mehr gibt. In der Österreichischen, der Deutschen wie in anderen Bischofskonferenzen gibt es auch längst keine Einheit mehr, falls es diese je gegeben haben sollte. Man soll also nicht anderen vorschreiben, was man selber nicht zustande bringt. Die Bischöfe sollen untereinander und anderen gegenüber ehrlich und transparent umgehen. Die Scheinwelt der Bischöfe wird vor der Außenwelt zu vertuschen versucht, die ihre eigenen Konflikte in Wahrheit nicht zu lösen vermögen.
Sie sollten vielmehr gegen das Denunziantentum, insbesondere in den Reihen der Restaurativen, auftreten, anstatt es zu tolerieren, zu decken, womöglich selbst zu betreiben. Maulkörbe, Absetzungen, Unterdrückungen, Drohungen, Vertuschungen, Ausgrenzungen, Verleumdungen, Verdrängungen und Schweigen dürfen nicht weiter als legitime Machtmittel und Unterdrückungsmechanismen eingesetzt werden. Es gibt leider eben auch Menschenrechtsverletzungen seitens der Hierarchie der katholischen Kirche. Gegen alle diese Machtmechanismen, gegen Unehrlichkeit, gegen die Wahrung des Scheines, gegen Diktatur und Diskriminierung sollten und müssten die Bischöfe auftreten, in den eigenen Reihen, auch dem Papst gegenüber, anstatt ihm Gehorsam zu geloben, und dies alles unter allen, auch unchristlichen Umständen zu verteidigen. Sie sollten lieber die Füße, als die Köpfe waschen. Nicht die Pfarrer befinden sich in diesem Fall in einer Krise, sondern die Machtstruktur der Kirche. Je mehr Gehorsam, umso weniger Eigenverantwortung und Notwendigkeit eigener Einsicht, eigenen Denkens. Ist es das, was der Papst und die Bischöfe wollen? Bei manchen Fällen der gegenwärtigen Kirchenpolitik scheint das der Fall zu sein. Man soll auch den Pfarrern Meinungs- und Redefreiheit zugestehen. Sie sollen sich nicht auseinander dividieren lassen. 
Die Priester haben keineswegs „aus freien Stücken, von niemandem dazu gezwungen, dem Bischof ‚Ehrfurcht und Gehorsam‛… versprochen“. Diese „Freiwilligkeit“ gleicht vielmehr jener des Pflichtzölibates. „Der christliche Gehorsam ist eine Schule der Freiheit.“ Das gilt nicht für den Gehorsam, wie ihn Schönborn, Kapellari und Gesinnungsgenossen verstehen, sondern nur im biblischen Sinne. Es ist auch völlig unangebracht und inadäquat, im Zusammenhang mit dem Gehorsam auf den „Arbeitsplatz“ und das „Vaterunser“ zu verweisen. Die Bischöfe sollten sich als Priester, Pfarrer, Brüder sehen und verstehen, nicht als Vorgesetzte, nicht als Dienstgeber für einen „Arbeitsplatz“, womöglich unter Androhung der Kürzung des Gehaltes eines Geistlichen, wenn er nicht gehorsam ist, wie es auch schon geschehen ist.
Der weitere Hinweis Schönborns auf das Beispiel seines eigenen, der Bischöfe Gehorsam dem Papst gegenüber geht insofern daneben, weil genau ein blinder und absoluter Gehorsam, der übrigens Gott allein gebührt, wesentlich mit schuld ist an den Fehlentwicklungen der Kirche. Negatives kann und soll kein Vorbild sein. Die Bischöfe hätten es viel mehr als ihre religiöse, moralische und menschliche Pflicht betrachten sollen, sich z.B. über die ungerechte und unfaire Abberufung ihres Kollegen William M. Morris, Bischof in Australien, beim Papst zu beschweren. Sie haben nichts getan, außer geschwiegen. Unter dem Deckmantel des Gehorsams kann man in Unschuld gut schlafen. 
Schönborn schreibt: „Dem Gewissen ist immer Folge zu leisten“. Er respektiert und realisiert aber diesen Satz, diese Einsicht, dieses Prinzip überhaupt nicht, was die betreffenden Pfarrer betrifft. Er zieht keine bzw. falsche Konsequenzen daraus. Beim „Aufruf“ handle es sich um eine Sache, „die zu einer klaren Entscheidung drängt.“ Insofern ja, weil der Papst und die Bischöfe nun endlich Reformen durchführen müssen, um nicht selber weiter daran schuld zu sein, dass Geistliche ihr Amt niederlegen und Gläubige aus der Kirche austreten. Es klingt fast wie ein Hohn, angesichts dieser Tatsachen von dieser Seite die „Einheit“ zu beschwören. Man sieht die Splitter in den Augen der Pfarrer, die Balken in den eigenen Augen werden geflissentlich übersehen. Es besteht die Gefahr der Erblindung. Ein negatives Beispiel in dieser Hinsicht ist auch der neue Bischof des Burgenlandes, Ägidius  Zsifkovics, der seit seinem Amtsantritt mit seiner erzkonservativen Einstellung der Diözese Eisenstatt nur Schwierigkeiten bereitet. Nach Schönborn müssten wir alle „den Willen Gottes“ erfüllen. Genau darum geht es. Genau das will die „Pfarrer-Initiative“. Nicht einmal der Papst und die Bischöfe haben den Willen Gottes gepachtet.
Wenn nicht schon direkt, so wirft Schönborn jedenfalls indirekt der „Pfarrer-Initiative“ vor, „den Weg nicht mehr mit der römisch-katholischen Kirche zu gehen.“ Das kommt beinahe einem Hinauswurf gleich. Mir schiene es richtiger, wichtiger und besser, dass die Reformverweigerer die notwendigen Konsequenzen ziehen. Schönborn hat am 17.07.2011 im Stephansdom in Wien das Requiem für Otto von Habsburg gehalten. Im Sinne des Verstorbenen eine würdige und schöne Feier. Damit hat er sich sicher bei seinen Anhängern weitere Sympathien erworben. Wer ein Requiem gut halten kann, bürgt allerdings noch nicht notwendigerweise für Führungsqualitäten in einem so hohen Amt. Große Inszenierung, Ästhetik, Barock und Weihrauch dürfen nicht über Inhalt, Auftrag, richtige Richtung und Ziel hinweg täuschen.
 
Im weltlichen Bereich würde man – bei allem Respekt vor verschiedenen Leistungen – sagen: Schönborn, Kapellari & Co sollen von ihren Ämtern zurücktreten, auch deshalb, um nicht noch weiteren Schaden anzurichten, um nicht noch weitere Gläubige zum Kirchenaustritt zu veranlassen. Dazu haben sie leider schon über Jahrzehnte viele Gründe geliefert. Sonst wird man sich nicht mehr sehr lange um sie kümmern, über sie nicht einmal mehr aufregen, sondern sie einfach ignorieren. Was entschieden schlimmer wäre. Sie betreiben eine Vertreibungsaktion der Gläubigen, vielleicht auch von Pfarrern, während sie wehleidig und mitleidig von der „Einheit der Kirche“ schwärmen. Man plädiert für „gegenseitige Wertschätzung“ (Schönborn), von der man im gegenständlichen Fall von ihm nichts merkt, für gegenseitige Rücksichtnahme, friedliche Diskussion und eine gemäßigte Sprache, um weiter leichter regieren zu können, hält sich aber selber kaum daran. Man hat Angst vor der Verteilung der Macht.
Vielleicht gelingt es – die Hoffnung ist nicht sehr groß –, die Besagten noch zu einem synodalen, kollegialen, partizipativen, partnerschaftlichen und demokratischen Leitungsstil und zu einem Dialog zu „bekehren“. „Lernen hat noch nie geschadet“, sagte Schönborn beim besagten Requiem. Möge diese Lernbereitschaft auch für ihn und die Seinen gelten. Oder sie verharren weiter in ihrem Zorn, ihrer Trauer, ihrer Angst, ihrer diesbezüglichen Unfähigkeit und ihrer Unglaubwürdigkeit. Sie treten noch immer mit Scheuklappen die Flucht in einen geschützten und abgeschlossenen Innenraum an. Pfarrer, Gläubige und Theologen sind insofern „schuld“, weil sie zu lange mit ihrer Kritik und ihrem Widerspruch gewartet haben, zu zaghaft waren. So haben sich der Papst und die Bischöfe in relativer Sicherheit wiegen und ihre Macht weiter einseitig ausüben können. „Fiat iustitia, pereat mundus.“ Nicht der Gehorsam, sondern die Liebe ist nach dem Evangelium das erste, oberste und wichtigste Gebot der Christen. Sollte es auch in der Kirche sein.

1 Kommentar:

Aquila hat gesagt…

Treffende, klare und eindeutige Worte von einem - leider schon emeritierten - Univ. Professor! Wie in vielen anderen Fällen auch, vermutlich ohne Nachklang und Wirkung!