Mittwoch, 10. Oktober 2012

Reformbewegungen geben Zeugnisse einer erneuerten Kirche der Zukunft

Am 9. Oktober 2012 haben International Movement ‘We Are Church’ (IMWAC), Movimento Internazionale ‘Noi siamo Chiesa’ (IMWAC) und European Network Church ‘On The Move’ (EN/RE), Rete Europea ‘Chiesa per la Riforma’ (EN/RE) anläßlich der Eröffmunung des Konzils vor 50 Jahren in Rom nachstehende Erklärung abgegeben:

Anlässlich des fünfzigsten Jahrestags der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils geben die Internationale Bewegung Wir sind Kirche (IMWAC) und das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch (EN/RE) Zeugnis für die Hoffnung auf eine Kirche, die immer freier und menschlicher wird und die auf Gemeinschaften von getauften Christen begründet ist, die sich dem Dienst in der Kirche und an der Gerechtigkeit in der Welt zutiefst verpflichtet fühlen.
1. Das Zweite Vatikanische Konzil unterstützte eine grundlegende Erneuerung der katholischen Kirche, sowohl in ihren eigenen Strukturen als auch in ihrer Beziehung zur Welt. Die Umformung der Liturgie war eine der zentralen und sichtbarsten Früchte des Konzils, besonders durch den Gebrauch der Muttersprachen und die auf der örtlichen Gemeinde begründeten Feier. Die Konstitutionen „Lumen Gentium“ und „Gaudium et Spes“ enthalten Definitionen der Kirche, die nun als das Volk Gottes gesehen wird, und der Werte der säkularen Welt und wie wir dieser dienen könnten.

2. Die Enzyklika „Pacem in terris“, von Johannes XXIII. während der Konzilssitzung und tatsächlich während seines Sterbens verfasst, müssen als Teil der gesamten konziliaren Erfahrung betrachtet werden. Andere sehr wichtige Fragen wurden unter neuen Gesichtspunkten gestellt: der Ökumenismus, der interreligiöse Dialog, die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Diese Dokumente trugen ganz besonders zur progressiven Bewegung bei, die heute in der Kirche existiert, und luden zu einem Dialog mit dem Lehramt auf allen Gebieten ein, die Teil des katholischen Lebens sind.

3. Während der letzten fünfzig Jahre hat sich eine Spannung bezüglich der richtigen Interpretation des Konzils und dessen Anwendung auf gegenwärtige Situation entwickelt. Diese Spannung war bereits in den Dokumenten des Konzils selbst gegenwärtig; für einige rief das Konzil zu einschneidenden Änderungen auf; für andere stand die Kontinuität an erster Stelle.

4. In Wirklichkeit schließen Änderung und Kontinuität einander nicht aus. Während des Konzils wurde von 40 Bischöfen unter der Leitung von Bischof Helder Camara (Brasilien) und Kardinal Lercaro (Bologna) in den Katakomben der heiligen Domitilla in Rom ein „Katakombenpakt” geschlossen, der nach einer Kirche rief, die sich auf den Dienst und auf die Armen konzentriert. Diese Ideen wurden später, besonders in Südamerika, als eine bevorzugte Option für die Armen entwickelt.

5. Als die offizielle Kirche mehr Widerstand gegen des Geist des II. Vatikanums entwickelte, fanden viele KatholikInnen einen Weg, innerhalb der Kirche in Treue für eine Veränderung zu arbeiten, von der sie meinen, dass das II. Vatikanum sie beabsichtigt habe: eine kollegiale und demokratische Kirche; Pluralismus und Dialog innerhalb der Kirche; Gleichheit der Geschlechter und die Akzeptanz verschiedener sexueller Orientierungen; die Weihe von Frauen und Verheirateten zum Dienst am Volke Gottes, aber nicht die Steigerung eines neuen Klerikalismus; Trennung zwischen Religion und Staat, um beiden eine passende Autonomie zu erlauben, aber gleichzeitig ein starker Einsatz der Gläubigen für Gerechtigkeit und Frieden. Diese progressive Bewegung leitete diese Veränderungen vom Konzil selbst ab, ja eigentlich aus dem Evangelium und aus der besten kirchlichen Tradition und aus den seelsorglichen Bedürfnissen des Volkes Gottes.

6. Eine Anzahl seelsorglicher Initiativen folgten: Basisgemeinschaften; die Feier der Eucharistie ohne Priester; Gewissensentscheidungen bezüglich Geburtenkontrolle und Sexualmoral; Unterstützung, aber ebenso Kritik des Vatikans und des Episkopats; Forderung nach Gerechtigkeit für die Opfer sexueller Gewalt sowie Bestrafung für die Täter und jene, die ihnen Vorschub leisteten.

7. In der säkularen Welt und in der Kirche des II. Vatikanums haben die Leute Redefreiheit. So haben sich Gruppen von Priestern und Laien es organisiert, ihre Erfahrung darüber auszudrücken, was es bedeutet, in der heutigen Welt Katholik und Katholikin zu sein. Redefreiheit entspringt aus dem Glauben, dass, wenn alle gehört werden, eine bessere Möglichkeit besteht, dass wir die Stimme des Geistes beachten und das Echo des Evangeliums hören werden. Die Stimmen von Theologen, Ordensfrauen und verantwortlichen Leuten von vornherein und offensichtlich willkürlich zum Schweigen zu bringen, bedeutet, den Atem des Lebens der Kirche selbst zu ersticken.

8. Wenn also Österreicher eine Pfarrer-Initiative gründen, Südamerikaner die Befreiungstheologie entwickeln, Nonnen sich dazu entschließen, nicht deduktiv von der Lehre, sondern induktiv aus ihrer Erfahrung zu sprechen, das American Catholic Council einen katholischen Katalog über Grundrechte und Verantwortungen entwickelt oder Asiaten und Afrikaner über die Notwendigkeit sprechen, Gott und Christus verschieden zu definieren, dann sollte die erste Reaktion darin bestehen, zuzuhören; und die zweite sollte der Dialog sein. Nur betroffene und entschlossene KatholikInnen entwickeln solche Initiativen. Unsere Antwort sollte viel eher Dankbarkeit statt Verwerfung, Erleuchtung statt Zensur, Unterscheidung in allen Fällen, aber nicht Taubheit sein.

9. Die Internationale Bewegung Wir sind Kirche (IMWAC), nationale fortschrittliche Gruppen weltweit und das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch (EN/RE) verurteilen die Hetzjagd gegen unsere Geschwister, die voller Respekt Fragen stellen, Fragen, die Millionen anderer KatholikInnen ebenso bewegen. Wir begrüßen den sich stattdessen entwickelnden Aufbruch und die aufkommende Wachsamkeit innerhalb der Kirche und erwarten das Leben und Licht, das diese mit sich bringen werden. Wenn wir uns bei Dissens und „ziviler Gehorsamsverweigerung” engagieren, geschieht dies nicht auf Grund von Maßlosigkeit, sondern weil wir tief betroffen sind.

10.  Auch im Jahr 2012 werden Priester und Laien immer noch nach hierarchischen Rangordnungen definiert statt als Partner, Mitglieder und Geschwister. Dafür gibt es keine Rechtfertigung in der Heiligen Schrift. Ja, sogar der Heilige Paulus erinnert uns, dass es ohne die verschiedenen Glieder, die jeweils für sich notwendig sind, keinen Körper Christi gibt.

11. Die institutionelle Kirche hat eine undemokratische Struktur entwickelt, die eher das Römische Imperium statt das Königreich Gottes widerspiegelt. Es ist traurig festzustellen, dass die Welt im Großen und Ganzen klarer den Bedarf für Demokratie und Gleichheit erkannt hat als die Kirche, die sich auf die Botschaft Jesu gründet. In der säkularen Welt besitzen nichtdemokratische Entscheidungen keine Glaubwürdigkeit und sind stattdessen weitaus weniger krisenfest. Demokratie widerspricht nicht dem Wesen der Kirche, da der Heilige Geist jedem verliehen wurde und da Demokratie nicht einem uneingeschränkten Mehrheitsvotum entspricht, sondern eher einem respektvoller Dialog.

12. In allen Demokratien gibt es verschiedene Verantwortungsebenen, und Respekt vor Menschenrechten und Minderheiten bildet die DNA einer wahren Demokratie, und das gilt besonders für jeden Christen.

13. Dieses steht entgegen einem monarchischen Absolutismus. In einer wahrhaft kollegialen Kirche ist das Gewissen nicht weniger unantastbar als das kirchliche Lehramt. Monarchie wirft Konflikte sowohl mit der Überlieferung des kirchlichen Evangeliums auf als auch mit den pastoralen Anforderungen der heutigen Zeit. Johannes XXIII erinnerte uns einst daran, dass wir von der säkularen Welt nichts zu befürchten hätten und dass wir kein Recht hätten, als Künder des Weltuntergangs aufzutreten. Monarchie gehört nicht zu den prinzipiellen oder wesentlichen Rechten innerhalb der Kirche. Kollegialität besitzt biblische, konziliare und pastorale Autorität in der Kirche. IMWAC und das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch bestehen darauf, dass die Kirche pluralistisch und inklusiv sowohl in ihren Strukturen und internen Richtlinien als auch in ihrer Beziehung zur Welt sein muss.

14. Wir richten unseren Appell an unsere Brüder im Bischofsamt, die in Rom an der Synode (7.-28. Oktober 2012 ) teilnehmen, dass sie den Dialog mit KatholikInnen suchen, die sich danach sehnen, Teil der Kirche zu sein, auch wenn sie bei manchen Themen unterschiedliche Auffassungen vertreten. Dieses geschieht nicht nur im Zusammenhang mit dem II. Vatikanum und dem Kanonischen Recht, sondern auch im Sinne des Heiligen Geistes und der Heiligen Schrift. IMWAC und das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch werden im Dezember 2015 in Rom zusammen kommen, um den 50. Jahrestag des II. Vatikanischen Konzils zu feiern und um Zeugnis abzulegen für die Lebendigkeit, die dadurch der Kirche verliehen wurde, und das Licht, das es darstellt, um uns in die Zukunft zu geleiten. Unsere Intention geht nicht in Richtung Teilung oder Unstimmigkeit, sondern Frieden für die gesamte Kirche. „Schaut darauf, wie diese Christen einander lieben” wurde einst als bestes Zeichen dafür gesehen, dass wir Christi Gemeinschaft sind. Wenn wir das verlieren, werden alle anderen Zeichen, die wir ersinnen, in die Irre leiten. Ohne Liebe gehen wir zugrunde, wir verlieren Jesus Christus und entfernen uns von Gott. Keiner in der Kirche möchte, dass dies passiert.

Quelle: Wir sind Kirche >>

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