Abgründe
Ein von Papst Benedikt XVI in Auftrag gegebener Bericht über die Kurie
bleibt unveröffentlicht
Von Jörg Bremerbleibt unveröffentlicht
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 44 / 2013, 8. - 21. Februar 2013 / Zeitgeschehen
Im Vatikan haben am Sonntag nach dem Angelusgebet die Fastenexerzitien begonnen. Eine Woche leitet nun einer der aussichtsreicheren Kandidaten für die Nachfolge von Benedikt XVI., Gianfranco Kardinal Ravasi, der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, die gemeinsamen Gebete des Papstes und seiner geistlichen Kurienmitarbeiter zu Einkehr, Buße und Umkehr mit Meditationen an. Die Geistlichen hätten darauf bereits eingestellt sein müssen. Der Papst hatte sie seit der Ankündigung seines Rücktritts am 11. Februar in seinen Erklärungen und Predigten auf die Bußtage vorbereitet. Er habe aus der Einsicht in seine Schwäche in "radikaler Freiheit" vor Gott begriffen, dass er zu schwach geworden sei, diese Kirche mit ihrem "bisweilen entstellten Gesicht" aus Zwietracht und Hass wieder zu heilen, sagte er. Papst Benedikt XVI. mahnte seine Kardinäle, Bischöfe und Prälaten, Selbstsucht und Karrierestolz abzulegen und sich Gott zu öffnen, um ähnlich frei zu werden wie er selbst. Der Papst weiß aus eigener Erfahrung, dass manche dieser Herren eine Läuterung besonders nötig haben.
Für manche Geistliche im Vatikan mögen die jährlichen Exerzitien zu Beginn der vierzig Tage dauernden Fastenzeit Routine sein. Für einen frommen Mann wie den Theologen Joseph Ratzinger sind sie aber im Kirchenjahr eine Wegscheide. Das sollte auch für seine Mitarbeiter gelten. Viele von ihnen haben nun die Chance, vor Gott das wiedergutzumachen, was sie ihrem Oberhirten angetan haben. Der Papst scheidet nicht nur alt, schwach und müde, er geht auch enttäuscht und unverstanden. Viele beim Heiligen Stuhl spürten in den vergangenen Tagen die Distanz zwischen dem Papst und der Kurie. Er forderte die Kardinäle auf, für ihn zu beten - als täten sie das nicht bereits in jeder Messe. Hingegen bedankte er sich sichtlich bewegt in der Generalaudienz in der vergangenen Woche bei den Gläubigen für ihre Anteilnahme, ihren Applaus, ihre Gesänge und für die Zuneigung in aller Welt. Auch den Priestern seiner Diözese fühlte er sich nah; er sei "dankbar für das Gebet, das ich fast physisch spüre", sagte er.
Mit bitterem Ernst meinte dieser Tage ein Prälat, der Papst habe vor der Wahl gestanden: "Entweder gehen der Kurienchef Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und einige andere - oder ich." Nun tut's der Papst. Für Außenstehende ist schwer zu begreifen, dass der Papst seine Kurie nicht einfach lenken kann. Natürlich hätte Benedikt unwillige oder unfähige Mitarbeiter jederzeit entlassen können. Gerade Ratzinger ist aber nie ein guter Verwalter und Organisator gewesen. Er war bei Personalentscheidungen und in Führungsfragen oft so unsicher, dass er lieber an falschen Entscheidungen festhielt, als neue Risiken einzugehen. Mit dem Alter wurde diese Neigung immer stärker. Als Theologe war der Papst immer sein eigener Herr, als Papst aber war er nur ein, wenn auch der größte Stein in seiner Kirche.
Nun lässt er viele Baustellen zurück: Das von ihm ausgerufene "Jahr des Glaubens'" geht erst im Oktober zu Ende; seine Enzyklika über den Glauben kommt nicht mehr heraus. Da der Papst sie schon im Frühherbst abgeschlossen hatte, glauben manche, der Text stecke bei Kurienprälaten wegen dogmatischer Bedenken fest. Die Piusbrüder leben weiter im Schisma mit Rom. Erst 2010 hatte der Papst einen Rat zur Neuevangelisierung ins Leben gerufen - ein Herzensthema seiner letzten Amtsjahre. Nun lässt der Vater sein "Kind" zurück. Zudem geht Benedikt in einem Moment, in dem die Christenverfolgung in Afrika und Asien zunimmt und in dem auch Christen in säkularen Gesellschaften des Westens es schwerer haben. Um auf diesen Baustellen wirkungsvoll zu arbeiten, braucht die Kirche nicht allein einen neuen Chef. Der benötigt auch tatkräftige und loyale Mitarbeiter. Mit seinem Rücktritt zur Fastenzeit, die zu Buße und Umkehr mahnt, fordert der Papst geschickt die Reform der Kurie.
Mehrere Jahre lang hatte sich der Papst mit der Möglichkeit eines Rücktritts getragen: Erst theoretisch in Gesprächen mit seinem Bruder Georg und im Gesprächsbuch "Licht der Welt" mit seinem Biographen Peter Seewald; seit bald einem Jahr praktisch. Als er im März 2012 in Mexiko war und während der Nacht einmal aufstehen musste, verlor der Papst die Orientierung, stolperte im Bad gegen die Wand und zog sich eine Verletzung zu. Immer schwerer fällt ihm das Gehen. Bei Schwindel hilft auch der Stock nicht. Zudem verlässt ihn der Appetit. Mit letzter Kraft schrieb er den dritten Band zu Jesus von Nazareth. Vor gut zehn Wochen erfuhr Seewald vom Papst, von ihm sei "nicht mehr viel zu erwarten. Ich bin ein alter Mann, die Kraft hört auf."
Der Skandal um Vatileaks und die gestohlenen Dokumente aus seinem Büro sollen ihn nach Seewald "nicht aus der Bahn geworfen" haben. Der Diebstahl selbst sei "kein Anlass" für den Rücktritt gewesen. In der Tat war der Dieb und Kammerdiener Paolo Gabriele ein kleines Licht. Bis heute ist für die Öffentlichkeit jedoch ungeklärt, wie der, so heißt es in den psychiatrischen Berichten, um Anerkennung buhlende Dieb ohne Selbstbewusstsein dazu kam, den "wie seinen Vater geliebten" Papst zu bestehlen und zu betrügen. Er soll "allein gehandelt" haben, urteilte ein säkulares vatikanisches Gericht. Was aber trieb ihn? Was hatte es mit der Behauptung Gabrieles vor Gericht auf sich, dem Papst würden wichtige Informationen durch das Staatssekretariat vorenthalten? Und der Papst wisse vieles nicht, was er wissen müsste.
Mit seinem Wunsch nach Transparenz setzte der Papst einen Strafprozess gegen den Dieb durch. In der Kirchengeschichte war dieses Vorgehen neu; früher waren Diebe im Vatikan ohne öffentlichen Prozess aus dem Verkehr gezogen worden. Der Papst setzte eine Kommission aus den drei hochbetagten Kardinälen Julian Herranz, Jozef Tomko und Salvatore De Giorgi ein, die auf niemanden mehr Rücksicht nehmen müssen. Sie sollten in Vernehmungen mit Klerikern der Kurie die Hintergründe von Vatileaks aufklären. Der Strafprozess war längst zu Ende, und der zu 18 Monaten Haft verurteilte Gabriele wartete auf seine Begnadigung, da trugen die Kardinäle am 17. Dezember dem Papst ihren Abschlussbericht vor.
Der Bericht blieb unveröffentlicht. Die Gesprächspartner des Papstes, die von ihm über diesen Bericht haben reden hören, ergehen sich in Bemerkungen über ungeahnte Abgründe von Intrigen und Hass unter Geistlichen der Kurie. Dem Papst sollen die Spannungen deutlicher denn je vor Augen geführt worden sein. Benedikt XVI. habe in diesem Moment begriffen, dass die jetzige Kurie Veränderungen und Transparenz geradezu bekämpfe. Mit seinem Rücktritt verlieren auch die Chefs der Dikasterien und andere ranghohe Geistliche ihre Posten. Der Papst will zwar in Zukunft "für die Welt verborgen bleiben". Gewiss aber wird er vor dem Konklave den fragenden Kardinälen aus dem Dossier berichten, und gewiss wird er seinem Nachfolger das Dokument zur Verfügung stellen, damit dieser sich bei der Neubesetzung der Ämter orientieren kann.
„Vatileaks“ - Kardinal Pell fordert Infos zu Geheimdossier
Medienspekulationen über ein vertrauliches Kardinalsdossier zu der Affäre „Vatileaks“ belastet offenkundig immer mehr auch die Kardinäle, die sich an der Wahl eines neuen Papstes beteiligen werden.
Religion.orf.at >>
Der Papst, wilde Gerüchte und ein Geheimdokument
Italienischen Medien zufolge tritt der Papst wegen eines homosexuellen Netzwerks im Vatikan zurück. Auch von Erpressung ist die Rede. Welche Rolle spielt das Geheimdossier dreier Kardinäle?
Die neuen Erkenntnisse und Enthüllungen bestehen deshalb in der Substanz aus Kombinationen von bereits Bekanntem oder Vermutetem, was vielleicht sonst noch möglich sein könnte. Einiges davon klingt nach ordinärem Tratsch. Anderes stammt aus vergangenen Fällen, die nie wirklich ganz aufgeklärt wurden. Dass es, wie überall sonst, auch im Vatikan schwule Netzwerke gibt, ist keinem neu, der den Zwergstaat einige Jahre beobachten durfte.
Die Welt >>
Der Vatikan dementiert in sehr allgemeiner Form und beschuldigt die Medien, "die Verbreitung oft nicht überprüfter oder schlichtweg falscher Nachrichten zu vervielfachen".
Komuniqué des Staatssekretariats
L'Osservatore Romano >>
Nur nächster Papst darf Kardinalsbericht zu Vatileaks lesen
Vatikanstadt, 25.02.2013 (KAP) Der Untersuchungsbericht der drei Kardinalskommissare in der "Vatileaks-Affäre" bleibt unter Verschluss und soll nur dem neuen Papst zur Verfügung gestellt werden. Das geht aus einem Vatikan-Kommunique vom Montag im Anschluss an eine Audienz für die drei Kardinäle Julian Herranz, Jozef Tomko und Salvatore De Giorgi hervor. Zunächst war vermutet worden, der Papst könnte den Text den Kardinälen zum Beginn der Generalkongregationen zugänglich machen.
Bei der Audienz habe der Papst den drei Kardinälen zum Abschluss ihrer Beauftragung für ihre Arbeit gedankt, heißt es jetzt in der Erklärung. Ihr Bericht habe - "neben Grenzen und Unvollkommenheiten angesichts der menschlichen Komponente aller Institutionen - die Großzügigkeit, Rechtschaffenheit und Hingabe der Mitarbeiter beim Heiligen Stuhl im Dienst für den Papst" deutlich gemacht.
"Der Papst hat entschieden, dass die Akten der Untersuchung, von deren Inhalt nur der Papst Kenntnis hat, ausschließlich dem neuen Papst zur Disposition bleiben", so das Kommunique.
Kathpress >>
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