Montag, 8. November 2010

Ethik-Professor: "Pflichtzölibat ist menschlich kaum vertretbare Belastung"

Ethik-Professor Hanspeter Schmitt engagiert sich gegen den Pflichtzölibat

Zölibat: «Massive, menschlich kaum vertretbareBelastung»

Hanspeter Schmitt ist Priester und Ordentlicher Professor für Theologische Ethik an der Theologischen Hochschule Chur.
Hanspeter Schmitt ist Priester und Ordentlicher Professor für Theologische Ethik an der Theologischen Hochschule Chur.

Der Churer Ethik-Professor Hanspeter Schmitt bezieht in einem Artikel engagiert Position gegen den Pflichtzölibat: Er kommt zum Schluss, dass sich der Priesterberuf auf der Basis einer partnerschaftlichen Ehe genauso zeichenhaft und theologisch fundiert gestalten könne wie auf der Basis des Zölibats. Eine umfassende Analyse, die aufhorchen lässt.

«Mit der Zölibatsvorschrift für Priester der lateinischen Kirche scheinen heute nahezu alle Beteiligten überfordert zu sein», beginnt der Aufsatz. Den Gemeinden gingen «reihenweise fähige Priester und Pfarrer verloren». Viele Priester würden «sich mit dem Fehlen von Ehe und partnerschaftlich gelebter Intimität schwer tun» und nach entsprechenden Auswegen suchen. Und jene, die den Zölibat leben könnten, gerieten unter den Generalverdacht, «zu einer menschlich ‹verkorksten›, zumindest aber sexuell unbefriedigten ‹Kaste› zu gehören.» Die Bischöfe würden diese Nöte kennen, «andererseits aber den kirchenrechtlichen Status quo verteidigen und zu begründen versuchen, auch weil sie nicht die Möglichkeit sehen, in dieser Frage der römisch-kurialen Marschroute wirksam und unbeschadet zu begegnen.»

Nicht zeitlos begründbar
Dabei seien die zur Begründung des Zölibat angeführten Argumente keineswegs so fundiert, «dass sich daraus eine derart zentrale und zeitlose Rechtsnorm ableiten liesse, wie das in der katholischen Kirche amtlicherseits seit Jahrhunderten geschieht», schreibt Schmitt. «Allein in den deutschsprachigen Ortskirchen haben zahlreiche Bischöfe wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch (Freiburg) oder Kurt Koch (Basel), Norbert Brunner (Sitten), Markus Büchel (St. Gallen) sowie Abt Martin Werlen (Einsiedeln) öffentlich betont, dass der Zölibat für das Priesteramt weder theologisch noch kirchenrechtlich zwingend sei.»
Die einschlägigen Bibelstellen hätten eine so nicht mehr bestehende endzeitliche Erwartungshaltung im Blick. Von den Diakoninnen, Diakonen, Presbytern und Episkopen der Urkirche wisse man, dass sie mehrheitlich verheiratet waren. Und Petrus hatte eine Schwiegermutter.

«Pseudospirituelle Verbrämung»
Die Ganzhingabe an Christus, so ein aktuelles Argument, solle einer uneingeschränkten Beziehung zu Christus förderlich sein, und die Christusbeziehung helfe, den Ausfall partnerschaftlich-erotischer Liebe zu tragen. Doch der so konstruierte «Gegensatz zwischen Christus- und Menschenbeziehung» werde längst als «pseudospirituelle Verbrämung» durchschaut. Die Rede von der grösseren Verfügbarkeit ehelos Lebender für ihren gemeindlichen und kirchlichen Dienst sei fraglich, «weil auch kirchliche Strukturen kein absolutes Verfügungsrecht über darin lebende und arbeitende Personen haben». Die Verwurzelung in gelingenden familiären und partnerschaftlichen Lebensformen könne der Motivation und Kompetenz seelsorglichen Handelns äus­serst zuträglich sein.
Schliesslich erklärt Schmitt, dass die oft betonte besondere Zeichenhaftigkeit des zölibatären Lebens nur dann verstanden werde, «wenn sich seine Träger in diesem Symbol selbst wiederfinden und es in authentischer Gewissheit vertreten und leben.» Inhaltlich könnte der Zölibat Solidarität mit jenen symbolisieren, die gezwungenermassen ohne Lebensgefährten auskommen müssen, ein Hinweis auf die existenzielle Beanspruchung durch die Botschaft des Evangeliums sein (was in partnerschaftlicher Liebe genauso überzeugend gelebt werden könne) oder eine prophethische Intention widerspiegeln.
Schmitts Fazit: «Angesichts dieser Argumentationslage ist zu unterstreichen, dass sich der Priesterberuf auf der Basis einer partnerschaftlichen Ehe und Liebe genauso zeichenhaft und theologisch fundiert gestalten kann wie auf der Basis einer personal übernommenen, reif gelebten Entscheidung für den Zölibat.» Warum gibt es diese Alternative in der katholischen Kirche bisher nicht, so seine Frage, trotz der «massiven, menschlich kaum vertretbaren Belastung des gemeindlichen Lebens und der kirchlich handelnden Personen»?
Irritierend seien die Ausnahmen von dieser als so unabdingbar angenommenen Norm etwa für ehemals protestantische und anglikanische Geistliche, die Priesterehe in den unierten Kirchen des Ostens, die mehr oder weniger offen in intimen Liebesbeziehungen lebenden Weltkleriker. Schmitt spricht sich dafür aus, «eine vorurteilsfreie Neubewertung der theologischen Begründungslage des Zölibates zu wagen», oder zumindest den «eucharistischen und pastoralen Notstand» zu bedenken.

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